Stirb für deine Sünden

Valerie

6:00 Uhr
Als ich meine Augen aufschlug war alles wie immer in dem kleinen Ort, nur ich ganz allein wusste, welch ein besonderer Tages werden sollte, denn es war mein eigener ganz besonderer Tag. Voller Elan stand ich auf und machte mir mein Lieblingsessen zum Frühstück, Pancakes mit ganz viel Honig. Ganz genüsslich und langsam aß ich sie, “Als wären es meine Letzten.”, dachte ich ironisch. Ich war früh aufgestanden und ließ nach dem Essen einfach alles stehen, obwohl Mutter das hasste, aber es war irrelevant. Gründlich putzte ich meine Zähne, zog mir ein weißes, bodenlanges Kleid an und drehte meine kupferfarbenen Haaren zu schönen Korkenzieherlocken auf. Es würde alles perfekt werden. Langsam öffnete ich meinen Mund beim Wimperntusche auftragen und malte meine Lippen mit Gloss an. Nach Lidstrich, Rouge und Lidschatten betrachtete ich mich im Spiegel. Ich war perfekt. Und wenn ich nicht rote Haare gehabt hätte, hätte ich beinahe wie ein Engel gewirkt. Ich legte mir den Waffengurt um und schon Papas Pistole in die Halterung. Gestern hatte ich sie heimlich genommen, als er seine Tasche zum Schießtraining gepackt hatte, er war Polizist, mein Papa, aber einfach furchtbar unaufmerksam. Er würde sich nach meinem Tod das Leben nehmen.
Ich streifte eine weiße Strickjacke über und fühlte den rauen Stoff auf meiner blassen Haut, spürte die Wolle, wie sie meine zarten Arme wärmte. Danach schlüpfte ich in meine nagelneuen Halbschuhe mit Absatz, auf die ich so furchtbar stolz war. Sie waren aus Wildleder gemacht und ich würde sie heute zum allerersten Mal tragen. Bedächtig schlugen die Hacken auf die Steintreppe auf bis ich aus dem Treppenhaus, hinaus ins Freie trat. Ich sog die kühle Herbstluft ein und beobachtete wie mein Atem eine glitzernde Wolke aus Wassertröpfchen in der Luft bildete.
8:24 Uhr
Es war so weit. Ich lächelte, als ich aufstand und zu Mrs. Morrison ans Pult schritt. Die absolute Kontrolle, die Macht, ich hatte sie, ich ganz alleine und keiner konnte mich unterdrücken.

“Ähem Valerie? Alles in Ordnung? Setzt du dich bitte wieder?”

“Nein.”

Ein Raunen ging durch die Klasse, aber ich fühlte mich absolut ruhig und beherrscht. Die Lehrerin runzelte misstrauisch die Stirn und die kleinen Fältchen, die ich so sehr an ihr mochte kamen zum Vorschein. Langsam fuhr meine Hand unter meine Strickjacke und umklammerte den kühlen Griff der Pistole, bevor ich sie mit einem Ruck herauszog. Es herrschte Totenstille in der Klasse. Andächtig fuhr ich mit der Fingerkuppe über Mrs. Morrsions Fältchen und fing an zu lachen. Sie betete.

“Ich nehme sie mit in den Himmel.”

stellte ich versonnen fest. Die Lehrerin fing an zu weinen und zu zittern, als ich meinen Zeigefinger im Abzug platzierte. Ich sah ihr in die Augen und küsste sie behutsam auf die Stirn. Sie gehörte nur mir, ich hatte die Kontrolle. Als der metallene Lauf ihre Brust berührte nahm ich ihre Hand. Ich wollte nicht, dass sie Angst hat. Dann drückte ich ab. Ich hatte es mir immer so vorgestellt, dass in diesem Augenblick die Welt für mich anhalten würde, aber es ging alles viel zu schnell vorbei. Für einen Moment konnte ich den Tod in ihren Augen sehen und als das Licht aus ihren Augen wich, versuchte ich es einzufangen. Ihr Körper klappte nach hinten wie bei einer Marionette deren Fäden man zerschnitten hat. Es war so einfach.

Madeleine

9:00 Uhr
Wie in Trance trugen mich meine Füße zu Kyra.

“Straßenköter,Penner,Kakerlake. Das bin ich weißt du noch?”

Ich spie ihr die Worte einzeln ins Gesicht. Meine Hände zitterten als ich den Lauf zwischen den schreckensgeweiteten Augen meines Opfers platzierte. Mit jedem Schuss fiel ein Teil des jahrelangem Schmerzes von mir ab und ich fühlt mich leichter. Ich zwang Maddi auf die Beine und befahl ihr mit meiner Waffe im Rücken, die tote Mrs. Morrison zu schultern, ich wollte meinen Engel nicht hierlassen. Bevor ich mich umdrehte zielte ich noch ein paar mal wahllos in die Menge und schloss dann die Tür hinter mir. Auf den Gängen kein Mensch zu sehen, anscheinend hatte mich noch niemand bemerkt. Nun das ließ sich ändern. Ich lief vorbei an all den minderwertigen, um Gnade winselnden Geschöpfen in den Klassenzimmern des ersten Stockes. Meine Pistole hatte ich fest im Griff, das kalte Eisen schmiegte sich an die Haut meiner Hand wie ein kleiner Welpe, auf der Suche nach Geborgenheit. Die Absätze der neuen Schuhe hallten unnatürlich auf dem glatten Steinboden wider. Die Türklinke fühlte sich rau und abweisend an, als ich in das nächste Klassenzimmer eintrat. Ich blieb im Rahmen stehen, drückte ab und die Kugel surrte durch die Luft wie ein kleines todbringendes Insekt. Einmal, zweimal, dreimal und der Lehrer fiel lautlos zu Boden. Seine kleine Hornbrille kam auf dem Boden auf und das Glas zersplitterte. Er hatte mich immer an eine schlechte Version von Harry Potter erinnert, stellte ich mir einen Schmunzeln im Gesicht fest, als ich die Tür wieder schloss. Selbstsicher zog ich durch die Gänge, bis ich im Erdgeschoss angekommen war. Mein vorletztes Opfer würde der Direktor sein, da mein Plan reibungslos aufging, erreichte ich mühelos das Direktorat. Nachsitzen. Sozialstunden. Als ob das mein Leben wiederhergestellt hätte. Die letzten fünf Jahre wollte ich wieder haben. Fünf Jahre! Aber wenn er mir mein Leben nicht reparierte, zerstörte ich seins eben. Im Hintergrund vernahm ich den Amokalarm, als ich das Büro des Direktors zufrieden wieder verließ. Alarmstufe rot. Man solle ganz ruhig bleiben. Sich in die Ecken begeben. Langsam schlich ich die Treppen hoch, Madeleine Andrews folgte mir mit blutverschmierten Klamotten, gefärbt von dem Lebenssaft meines Engels, den sie auf den Schultern trug. Ich stieg die Treppe immer höher und höher, bis wir am Schuldach angelangt waren. Die Aussicht war viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte und ein Lächeln huschte über mein kaltes Gesicht. Vor mir lag sie. Hilflos und schutzlos, so wie ich es damals gewesen war, als sie auf mir herumgetragen war.
9:09 Uhr
Aber jetzt hatte ich die Macht, ich stand oben, ich kontrollierte sie. Und mit einem letzten:

“Stirb für deine Sünden.”

schickte ich ein Kugel an die Stelle, an der bei normalen Menschen das Herz gewesen wäre. Aber bei ihr saß dort bestimmt nur ein großes schwarzes Loch. Aber jetzt ist der Moment gekommen. Ich nehme meinen Engel sanft auf den Arm, klettere aus dem Fenster und stelle mich ganz an die Kante der Daches. Mein weißes Seidenkleid weht blutverschmiert im Herbstwind und umspielt sanft meine Beine. Ich wiege meinen Engel sanft hin und her und trete einen Schritt nach vorne. Einen Schritt in den Abgrund. Und im Glauben an unsere ewige Vereinigung im Himmel flüstere ich: “Hab keine Angst mein Engel.”, während ich nicht einmal mehr unterscheiden kann, ob ich gerade falle, oder fliege.

Madeleine

Alles um mich herum ist schwarz. Dann würde es weiß und ein gleißend heller Schmerz durchzuckt meine Brust. Bin ich tot? Mein rasselnder Atem beweist mir das Gegenteil. In der Ferne höre ich ein Martinshorn und kurz darauf spüre ich wie mich Leute anstupsen und meinen Puls messen. Mir ist kalt. Sanitäter heben mich auf eine Trage und diskutieren heftig miteinander, aber ich kann sie nicht verstehen. Alles wird wieder schwarz.

Als es wieder weiß wird, erkenne ich langsam Umrisse. Verschiedene Schläuche führen in meinen Körper rein und wieder raus, kleine, große, dicke und dünne. Irgendwo piepst ein Gerät den Takt meines Herzens und meine Mutter flüstert die ganze Zeit: “Mein Baby, Oh Gott, mein Baby!”. Ich frage mich ob sie mich immer noch ihr Baby nennen würde, wenn sie wüsste warum ich hier liege. Warum neun andere Personen nicht hier liegen können. Wenn sie wüsste warum Valerie das getan hat. Wegen wem Valerie das getan hat.

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