N´Bröckel Heimat weniger

(Der Rektor (R) sitzt an seinem Arbeitsplatz in der Schule. Ihm gegenüber sitzt Frau Ganz (G).)
R: (liest gelangweilt von Karteikarten ab) Hallo Frau Ganz. Ich freue mich sehr, dass Sie sich an diesem wunderschönen, sonnigen Abend mit ihrem strahlend braunen Automobil auf …
G: Das ist kein braunes Auto, das ist Rost. Und sagen sie bitte einfach was los ist. Ich hab‘ in einer halben Stunde einen wichtigen Termin.
R: Danke, dass ich gleich zum schönen Teil des heutigen Abends kommen darf (wirft seine Karteikarten auf den Tisch). Es geht um die Nichtversetzung ihres Sohnes Leon in die 9. Klasse bzw. die Wiederholung der 8. Klasse. Es ist eine sehr schwierige Situation, denn ich möchte ja nicht sagen, dass ihr Sohn ein Saftsack ist – aber er ist einer.
G: Das ist ihre Meinung. Ich möchte sie aber darauf hinweisen, dass Leon vor dem Tod seines Vaters anders und sehr talentiert war.
R: (lacht) Nennen sie mir bitte ein Beispiel.
G: Leon konnte beispielsweise mit schon 2 Jahren eine Minute freiwillig die Luft anhalten und Aschenbecher auf Japanisch sagen. Die Krabbelgruppe durchlief er ein Jahr schneller als die anderen und den Bobby-Car-Führerschein hatte er mit nur 3 Jahren in der Tasche.
R: Ich meinte eigentlich …
G: Und dann als Leon 6 Jahre alt war, starb sein Vater auf unserem Safaritrip, nur weil er unbedingt ein Nashorn aus 5 m Entfernung fotografieren wollte.
R: Ich bin zutiefst erschüttert. Aber wissen Sie Frau Ganz, es kann nicht jeder 80 werden. So aber nun zum Thema zurück. Ihr Sohn ist ein stinkender Esel, der Ähnlichkeiten mit einem zusammengedrückten Elefantenhirn hat. Leon ist einfach eine Schande für unsere stolze Schule und erst Recht für unser Städtchen. Aus diesem Grund wird Leon nächstes Jahr weder die 8. Klasse wiederholen noch meine Schule besuchen.
G: (bleibt ruhig) Was? Leon hat zwar einen zu schlechten Notenschnitt um in die 9. Klasse versetzt zu werden, aber warum sollte er deswegen nicht die 8. Klasse wiederholen dürfen?
R: Leon hat zwei Sechsen und drei Fünfen. So einen schlechten Schüler hatten wir noch nie (lacht), aber natürlich liegt das nicht nur daran. Leon ist nicht kreativ, technisch unbegabt und außerdem ist sein Verhalten gegenüber Lehrern inakzeptabel. Meiner Meinung nach sollte er die Grundschule wiederholen.
G: (wütend) Was ist eigentlich los mit diesem Städtchen. Vor 20 Jahren sind mein Mann und ich hierher gezogen und alles war gut. Dann stirbt er und ein Jahr später werden wir schon nicht mehr aufs Straßenfest eingeladen. Kurz darauf wird mir gekündigt, weil ich anscheinend die Deckel nicht gerade auf die Zahnpastatuben schraube, und jetzt wird mein Sohn grundlos von der Schule geworfen. Morgen werden wir wahrscheinlich noch aus unserem Haus geworfen.
R: Dazu sag‘ ich jetzt nichts.

Telefon klingelt
R: (froh über die Störung) Ich lass kurz den AB dran. Ja?
AB: Hallo, hier spricht Studiendirektor Müller. Das pflichtbewusste, disziplinierte und tolerante Arbeitsgenie, als auch Rektor dieser Schule, der mit Angela Merkel die erste Klasse besuchte und sie mit 5:2 im Mathefußball bezwang. Soviel zu mir. Jetzt können Sie etwas über sich erzählen. (Piep)
Ja, hallo Herr Müller. Hier ist Frau Stock, die Elternvertreterin der Klassenstufe 8, die übrigens mit Ingo Herber in die erste Klasse ging, der jetzt beruflich an der Buchenbachbrücke als Straßenpenner unterwegs ist. Auf jeden Fall wollte ich mich nochmal wegen dem Leon melden. (R versucht den Hörer wegzunehmen, doch G schlägt seine Hand weg) Wir hätten jetzt die 2000 Euro zusammen und es wäre dann auch schön, wenn dieser Leon nächstes Jahr nicht mehr auf Ihrer Schule zu finden ist. Tschüss und ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Abend.
G: Es kann nicht jeder 80 werden, Herr Professor. Da haben sie ganz Recht. (geht)

Kommentare

  1. Von Elly am

    Du bist 14 uns schreibst in einem Stil wie ein alter Schriftsteller. Ist das echt von dir?

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