Ein himmelweiter Unterschied

Ein Mann erscheint aus dem Nichts. Verwirrt blickt er sich um und betrachtet eine gigantische, finstere Höhle. Da tritt ein Wesen mit Hörnern und Hufen auf ihn zu.
Mann: Oh nein! Steht vor mir der Teufel? Das hier ist doch nicht etwa die Hölle?
Teufel: Doch, doch, herzlich willkommen im Hotel Hölle. Ich freue mich sehr, Sie bei uns begrüßen zu dürfen und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.
Mann: Wie kann das sein? Ich war immer hilfsbereit und ehrlich? Wieso werde ich bestraft? Was habe ich bloß falsch gemacht?
Teufel (seufzt): Gar nichts.
Mann: Aber wieso bin ich dann nicht im Himmel?
Teufel: Weil Himmel und Hölle nur zwei konkurrierende Unternehmen sind. Alle Christen werden nach dem Zufallsprinzip auf beide Hotels aufgeteilt. Wohin man kommt, ist weder Strafe noch Schicksaal noch sonst irgendetwas.
Mann: Das ist ja noch schlimmer! Ich bin in der Hölle und kann nicht einmal etwas dafür!
Teufel: Warum versteht das denn niemand? Die Hölle ist nicht schlechter als der Himmel! In den guten alten Zeiten habe ich sogar mit Gott hier zusammengearbeitet. Aber dann wurde es ihm hier unten zu eng und zu dunkel und er hat sich selbstständig gemacht . Hoch oben im Himmel hatte er einen tollen Ausblick, während ich hier in der Hölle ohne seine Hilfe ziemlich aufgeschmissen war. Zugegeben, damals hatten wir hier lange Probleme, sehr zum Leidwesen unserer Reputation. Die Klimaanlagen waren durchgängig defekt, sodass es unerträglich heiß wurde, die Beleuchtung hat ebenfalls kaum funktioniert und die einzige Musik, die wir spielen konnten, war Schlager. Aber inzwischen habe ich den ganzen Laden renovieren lassen und ich kann stolz sagen, dass wir unseren Kunden mindestens genauso viel bieten können wie im Himmel.
Mann: Aber ist es denn nicht so, dass die guten Menschen in den Himmel kommen und die schlechten in die Hölle? So steht es doch in der Bibel.
Teufel: Die Bibel ist im Grunde auch nur ein Werbekatalog und zugleich die AGBs von Gottes Hotel. Da wird der Himmel angepriesen und vieles beschönigt, die Hölle hingegen schlecht gemacht . Aber früher gab es tatsächlich Vorschriften, wer in den Himmel darf, und wer nicht. Man musste Mitglied in der Kirche sein und alle Gebote und Tugenden von der Bibel befolgen. Dadurch wollte sich Gott die besten Menschen raussuchen. Hat aber nicht allzu gut funktioniert, sieh dir nur an, was die in der Kirche alles machen. Seit dem Mittelalter nutzen die Geistlichen ihre Macht schamlos aus, herrschen willkürlich, bereichern sich selbst, begehen Verbrechen und weigern sich dann auch noch, für diese einzustehen – sind das wirklich bessere Menschen?
Mann: Aber trotzdem möchte ich nicht bis in alle Ewigkeiten in dieser düsteren, ungemütlichen Höhle bleiben. Du hast selbst gesagt, dass der Ausblick im Himmel viel besser ist.
Teufel: Nur die Ruhe! Das hier ist selbstverständlich nicht die ganze Hölle! Das ist nur die Lobby, die wollte ich ein bisschen traditioneller halten. Aber warte nur ab, bis du die anderen Bereiche siehst. Und mal ganz ehrlich: Ihr Menschen geht doch ohnehin nicht mehr freiwillig ans Tageslicht. Dank meines Marketings habt ihr doch gemerkt, wie schön es unter der Erde sein kann.
Mann: Dein Marketing?
Teufel: Ja! Was denkst du denn, wer die Disco erfunden hat? Dort gibt es kein Tageslicht, und trotzdem ist es der perfekte Ort, um Spaß zu haben! Während die im Himmel aufpassen müssen, dass sie keine Ruhestörung begehen – dort gibt es schließlich keine Wände, sodass jedes Geräusch meilenweit schallt – können wir in der Hölle feiern so laut wir wollen.
Mann: Das heißt, ihr habt eine Disco in der Hölle?
Teufel: Eine? Hunderte! Und nicht nur das, wir verfügen auch über jede Menge Whirlpools, Saunen, Spaanlagen, ebenso wie Sportplätze und All-You-Can-Eat-Buffets – alles, was das Herz begehrt!
Mann: Das klingt wirklich fantastisch! Ich kann kaum glauben, dass es in der Hölle wirklich so schön sein soll.
Teufel: Und doch ist es wahr! Du musst nur kurz diesen Pakt – ähm – Vertrag unterschreiben, dann kannst du einchecken.
Mann: Ein Pakt mit dem Teufel? Niemals! Ich wusste doch, dass es einen Hacken an der ganzen Sachen gibt!
Teufel: Um Gottes Willen! Das ist die nächste Marketingstrategie des Himmels. Sie erzählen euch überdramatisierte Geschichten davon, dass ich Menschen um ihre Seele gebracht hätte, doch in Wahrheit habe ich ihnen einfach nur einen Gefallen getan, damit ich sie schon vorzeitig als Kunden gewinnen konnte. Doch im Grunde tut Gott genau dasselbe, indem er die Leute in die Kirche lockt, mit dem Unterschied, dass sie dafür sogar noch bezahlen müssen! Aber natürlich gehen die Menschen trotzdem lieber zum netten, großväterlichen Gott, als zu dem dunkel gekleideten Mann mit den Pferdehufen und Hörnern auf dem Kopf!
Mann: Ich dachte, die Leute werden zufällig aufgeteilt und haben keine andere Wahl?
Teufel: Natürlich haben sie eine Wahl! Siehst du den Aufzug dahinten? Damit gelangt man direkt in den Himmel. Du kannst aber auch einfach zu einer anderen Religion konvertieren. Da du weder mit mir noch mit Gott einen Vertrag geschlossen hast, steht es dir vollkommen frei zu gehen, wohin du auch willst! Allerdings hoffe ich natürlich, dich von der Hölle überzeugt zu haben.
Mann: Ich weiß nicht so recht, mir ist das alles zu dubios. Was du sagst, hört sich ja schön und gut an, aber ich riskiere besser nichts und gehe in den Himmel. (macht Anstalten, sich zu entfernen)
Teufel (ruft ihm hinterher): Da fällt mir ein: Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass wir als einziges Hotel über funktionierendes WLAN verfügen? Die Aussicht im Himmel mag ja schön und gut sein, aber wie um alles in der Welt soll man in den Wolken einen Sendemast aufstellen?
Mann (dreht sich um): Ach, zum Teufel mit den Vorurteilen. Wo soll ich unterschreiben?
Teufel (kopfschüttelnd zu sich): Was denkt der bloß, wer auf die Idee mit den Sozialen Medien kam?

Kommentare

  1. Von Nic am

    Großartiger Text! Aktuelles Thema, intelligent und witzig geschrieben. Ich habe oft gelacht, aber auch zustimmend genickt. Ich denke, der Jungautor wird es noch weit bringen.

  2. Von Ilona Schurig am

    Toll gemacht, Connor❣ Eine sehr unterhaltsame Persiflage auf unseren Zeitgeist…könnte eine Kolumne in einer Wochenzeitung werden, womit Du Dich so beschäftigst…bloss nicht aufhören, gib uns weiter so kleine Denkanstösse❣

  3. Von Simone am

    Ich bin fasziniert wie umsichtig das geschrieben ist. Weiter so. Man kann sich auf die nächste Geschichte freuen.

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