Parallelen

[Zwei Personen in der Mitte der Bühne, stehend. Eine Mutter und ihre Tochter. Die Mutter wirkt gebrechlich, während die Tochter sie hält. Die Mutter starrt vor sich hin, die Tochter sieht ihr ins Gesicht]

TOCHTER: Komm, du musst ins Bett.
MUTTER: (leise) Nein.
TOCHTER: Doch, ich begleite dich.

[Die Tochter führt die Mutter zu einem einzelnen Bett. Daneben steht ein Nachttisch mit einer Lampe, verdeckt von Bierdosen. Die Tochter stellt diese unter das Bett und schaltet die Lampe an. Die Mutter steht vor dem Bett, starr. Die Tochter hilft ihr, sich umzuziehen. Dabei fallen Bierdosen aus ihrer Kleidung. Auch diese stellt die Tochter unter das Bett.]

MUTTER: Ich möchte aber noch nicht schlafen.
TOCHTER: Aber es ist gut für dich.
MUTTER: Aber ich will nicht.
TOCHTER: Du bist müde, du brauchst den Schlaf. Komm, leg dich hin.

[Die Tochter schlägt die Bettdecke auf, darunter erscheinen noch mehr Bierdosen. Eine nach der anderen stellt sie diese unter das Bett und hilft der Mutter anschließend, sich hinzusetzen.]

MUTTER: (lallend) Setz dich neben mich.
TOCHTER: Aber du musst schlafen. Und ich auch, es ist schon spät.
MUTTER: Setz dich, ich will dir etwas sagen. Es ist wichtig.

[Tochter setzt sich widerwillig.]

MUTTER: Weißt du, du bist jung. Da hat man so viel zu erleben, man hat das Gefühl, die ganze Welt könne einem gehören. So unabhängig, so sorglos, vielleicht auch etwas leichtsinnig, aber trotzdem glücklich. Wenn man jung ist, ist man glücklich.
TOCHTER: (guckt auf den Boden) Ja.
MUTTER: Aber hör dir an, was ich jetzt sage. Es wird nicht immer so sein. Du bist nicht immer so frei.
TOCHTER: Ja, ich verstehe schon.

[Die Tochter legt die Mutter ins Bett, langsam und vorsichtig. Die Tochter deckt sie zu, die Mutter schließt die Augen. Die Tochter steht neben dem Bett, will gehen.]

MUTTER: Tochter, hör mir zu. Lass dir das nicht nehmen. Ein freier Geist ist das Wichtigste, was ein Mensch nur haben kann. Versprich mir, dass du dich niemals an jemanden bindest, der dir nicht guttut. In dieser Welt wird man schnell manipuliert und es gibt zu viele Menschen, die einen ausnutzen wollen. Sei nicht von Ihnen abhängig, lerne aus meinen Fehlern.
TOCHTER: Du sprichst von Dad.
MUTTER: Verliere niemals deine Unabhängigkeit. Glaube niemals einem Menschen ohne zu hinterfragen, was er dir sagt. Deine persönliche Freiheit muss über allem anderen stehen.
TOCHTER: Darf ich jetzt gehen?
MUTTER: Stelle niemals deine Bedürfnisse für eine andere Person zurück. Wenn du eine Sache von mir lernen sollst, dann soll es das sein. Glaube nicht, du bist weniger wert. Egal, was eine andere Person dich glauben lassen will. Fühle dich nicht gut oder schlecht, abhängig davon, was eine andere Person über dich sagt. Höre auf dich. Und nur auf dich. Tu, was du denkst und halte nichts zurück. Mache nichts, was du nicht willst. Behalte deine Freiheit. Werde nicht abhängig von anderen Menschen. Werde nicht abhängig. (Schläft ein)

[Die Tochter steht noch länger neben dem Bett. Dann macht sie das Licht der Nachttischlampe aus und geht.]

Schreibe einen Kommentar