Wo bist du geblieben?

Als ich klein war, hatte ich eine Freundin. Sie hat meine Hand gehalten, als ich mit sechs das viel zu große Schulgebäude betrat, mit dem zu großen Rucksack auf dem zu kleinen Rücken. Sie hat mich überallhin begleitet.
Auf die langen Autofahrten in den Urlaub, wenn ich die Regentropfen an der Fensterscheibe ein Rennen gegeneinander habe laufen lassen. Wenn ich auf dem Spielplatz, die Schaukel so hoch getrieben habe, bis das alte Gerüst gequietscht und geknarzt hat, nur um dann am höchsten Punkt abzuspringen. Lachen und Kichern meine Kehle erfüllen lassen, bis die Luft um mich herum sirrte. Ist war auch dabei als ich dann in der dritten Klasse zum ersten Mal alleine in der Schule saß, niemand neben mir, außer ihr.
Meine Freundin war mit mir zuhause als wir alle es nicht mehr verlassen durften. sie war es die jeden Abend neben mir saß, wenn ich an dem Kostüm für Fasching arbeitete, Klebestreifen um Klebestreifen setzte. Immer nach neuen Wegen suchend, immer neue Möglichkeiten in Betracht ziehend.
Dieses Kostüm, das hat damals nur sie gesehen. Ich habe immer noch ein Bild davon in meiner Schublade.
Sie war es auch die meinen Kuscheltiere die Namen gab, die sie noch heute, zehn Jahre später tragen.
Sie war meine Zuschauerin, wenn meine Cousine und ich noch in der Dämmerung draußen waren.
Unsere Elemente beherrschend
Zauberduelle führend oder
mit Drachen kämpfend.
Bis die feuchte Sommernacht unsere Haut geküsst hat. Damals, als unser Licht kein Bildschirm war, sondern die Sterne.
Meine Freundin wurde mir weggenommen. Irgendwann als ich aufhörte in seltsamen Sprachen zu sprechen und mir eigene verschnörkelte Hieroglyphen auszudenken. Irgendwann als Wolken für mich keine Einhörner oder Häschen mit drei Ohren, sondern nur noch Wasserdampf in der Luft waren. Irgendwann, als ich nur noch hektisch über Straßen und Wege hetzte, ohne auf die Flüsse aus Rissen im Asphalt oder die von moosdurchdrungenen Rillen im Kopfsteinpflaster zu achten, in der Angst verbrannt zu werden.
Sie wurde mir weggenommen, als das Leben für mich kein Spiel mehr sein durfte. Vielleicht habe ich sie auch einfach ziehen lassen. So ganz ohne wenn und aber.
Als ich das erste Mal Blut in meiner Unterhose fand. Als Leute anfingen meinen Körper zu kommentieren und der schnelle Stopp bei der Eisdiele geplant werden musste. Als ich anfing die Schminke meiner Mutter zu benutzen, nicht nur aus Spaß, nicht nur um mich erwachsen zu fühlen. Sondern einfach weil mir nicht mehr gefiel was ich im Spiegel sah, weil ich zum ersten Mal darauf achtete.
Jetzt bekomme ich sie nicht mehr zurück.
Meine Freundin ist weg.
Für immer sind große Worte.
Zu groß für meinen fünfzehnJährigen Mund.
Aber ich frage mich immer, wie geht es ihr jetzt?
Welche sechsjährige führt sie mit der blauen Schultüte in die erste Klasse
Ich frage mich
wo bist du geblieben
Fantasie?

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