Nicht geschafft

Eine PERSON läuft barfuß durch eine Straße. Sie trägt ein weißes Kleid. Vögel zwitschern. In der Luft liegt die Leichtigkeit eines Sommertages.
PERSON:
Hier ist es so schön! Ich hätte mir ja nie erträumen können WIE schön es doch ist! Das verliebte Pärchen lächelt mich an und unterbricht dafür sogar seinen Kuss. Und der alte Mann in der Bahn hat mir freundlich einen guten Morgen gewünscht.
Ich gehe lächelnd durch die Straßen und diese lächeln zurück. Der Asphalt ist nicht schmutzig und hart, sondern sauber und weich, als würde ich auf Wolken gehen. Wolken.
(Die PERSON legt ihren Kopf in den Nacken und schaut hoch zum Himmel.)
PERSON: Weit und breit keine Wolke zu sehen. Das kann ja nur ein schöner Tag werden.
(Glücklich lächelnd und beschwingten Schrittes geht die PERSON weiter.)
PERSON: Oh, vielen Dank! Ein Flyer, den lese ich später.
(Die PERSON beobachtet glücklich wie alle anderen vorübergehenden Passanten ebenfalls Flyer in die Hand gedrückt bekommen. Alle lesen diese und bedanken sich.)
PERSON: Ist das schön! Niemand läuft ignorant weiter, kein Flyer landet auf dem Boden und wird begraben von hastigen Schritten. Ich kann es kaum glauben, vorhin in einem Laden habe ich ein Kompliment bekommen. ICH! Ein wahrhaftiges und ehrliches Kompliment. Und dass, obwohl ich nichts gekauft habe. Die Verkäuferin war nicht beleidigt. Sie hat mir einen wunderschönen Tag gewünscht.
Oder danach… (die PERSON fasst sich an die Brust) Ich wollte mir nur einen Tee holen, da hat einfach die Person vor mir für mich bezahlt. Wie freundlich die Menschen hier sind! Es ist einfach wunder…
Die Stimme der PERSON bricht ab. Ein stechender Schmerz in ihrem Arm, der sich im ganzen Körper ausbreitet.
PERSON: Verdammt. Was… Au! Ah! Das… Was passiert hier? Was soll das?
(Die PERSON wird von einem alten Mann angerempelt.)
PERSON: Hey, Sie kenn ich doch! Wissen Sie nicht mehr? Vorhin?
(Doch der Mann rennt weiter. Seine schwarzen Schuhe schlagen rücksichtslos auf den Asphalt auf, der mit Flyern übersät ist.)
PERSON: Aber warum sind die Menschen denn so rücksichtslos? Warum ist es jetzt wie immer? Was habe ich denn falsch gemacht?
(Ein anderer Mann rempelt die PERSON an.)
PERSON: Hey?! Ich werde schon wieder angerempelt. Der Mann beschuldigt mich, ihm Geld gestohlen zu haben. Aber er hat doch für mich bezahlt?! Aus Freundl…
(Es beginnt zu regnen. Der Asphalt wird feucht und so auch die Füße der PERSON, die über aufgeweichte Flyer läuft.)
PERSON: Warum ist alles wie immer? Ich wollte doch… Vorher war es so schön und…
(Eine Frau rennt mit wütendem Gesicht hinter der PERSON her.)
PERSON: Hilfe! Hinter mir rennt die Verkäuferin von vorhin und meint, ich hätte ihre Zeit gestohlen. Aber das hab‘ ich doch gar…
(Die PERSON krümmt sich vor Schmerzen und fasst sich an den Kopf. Die Bühne wird schwarz. Aus dem Hintergrund ertönt eine Stimme.)
Stimme aus dem Hintergrund: Frau Müller, können Sie mich hören? Frau Müller?
(Die Bühne wird wieder hell. Die PERSON liegt in einem weißen Krankenhausbett, Arme und Beine an dem Gestänge fixiert. Eine Kanüle steckt in ihrem Arm. Ein Arzt steht neben ihrem Bett. Die PERSON schlägt ihre Augen auf. Sie versucht sich aufzusetzen und scheitert.)
PERSON: Ich hab‘ es nicht geschafft! Wieder nicht geschafft.

Kommentare

  1. Von Susanne am

    Wow …. mit Gänsehautfaktor

  2. Von Carlotta König am

    Super Idee und tolles, fesselndes Minidrama.
    Mega verfasst

  3. Von F am

    Besser als jedes Stück aus der Schule, wow

  4. Von Charlotte am

    Super Geschichte und irgendwie auf eine leicht schräge Art auch wahr.
    Eine tolle Idee und gute Umsetzung!

  5. Von Anke am

    toll gemacht Theresa

  6. Von Fine Klick am

    Total cool, danke!
    LG Fine

  7. Von Sabrina am

    Super Geschichte! Tolle Idee und Mega Umsetzung!!

  8. Von Ursula D. am

    Eine packende aufrüttelnde Geschichte.
    Eindrucksvolle Sprache.

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