Der Opernabend

(Irgendwo in einer Stadt in irgendeinem Land. Zwei Frauen mittleren Alters sind auf dem Weg zur Oper. Sie haben sich besonders schick gemacht. Lange Kleider, Glitzerclutch, Stöckelschuhe, falsche Wimpern. Es ist dunkel draußen. Kurz vor dem Opernhaus sehen sie einen Körper auf dem Boden liegen. Die Damen bleiben stehen und schauen auf den reglosen Körper. STILLE.)

FRAU A Er ist tot.
FRAU B Tot?
FRAU A Tot.

(Blick der Frauen bleibt auf den Körper gesenkt, STILLE)

FRAU B So ganz?
FRAU A So ganz.
FRAU B Atmet er noch?
FRAU A Nein, er ist tot.

(STILLE)

FRAU A Ich ruf einen Krankenwagen.
FRAU B Wieso?
FRAU A Weil man das so macht.
FRAU B Wann?
FRAU A Wenn einer nicht mehr atmet.
FRAU B Aha.
FRAU A Ja.

(STILLE)

FRAU A Also ruf ich jetzt einen Krankenwagen?
FRAU B Wohl eher einen Leichenwagen..
FRAU A Leichenwagen?
FRAU B Ja.
FRAU A Wieso?
FRAU B Weil man das so macht.
FRAU A Wann?
FRAU B Wenn einer tot ist.
(FRAU A schluckt deutlich hörbar, ihr Blick löst sich nicht vom Körper, STILLE)
FRAU A Kennst du die Nummer?
FRAU B Welche Nummer?
FRAU A Die vom Leichenwagen.
FRAU B Nein. Du?
FRAU A Nein.

(STILLE)

FRAU B Was machen wir jetzt?
FRAU A (schaut auf die Uhr) Wir haben noch 10 Minuten.
FRAU B 10 Minuten?
FRAU A Ja.
FRAU B Der Abend beginnt mit meiner Lieblingsoper. Hat meine Großtante Emmi mir immer vorgespielt.
FRAU A (nickend, noch immer auf die Leiche blickend) Oh.

(FRAU B beginnt leise die Melodie einer Oper vor sich hin zu summen, die Kirchenglocken schlagen laut und übertönen ihr Summen)
(FRAU A schaut das erste Mal auf, spricht FRAU B direkt an)

FRAU A Also machen wir jetzt was?
FRAU B (schaut hoch) Lass ihn liegen.
FRAU A Liegen?
FRAU B Ja, wird schon einer sich drum kümmern.
FRAU A Gut.
FRAU B Ja?
FRAU A Ja. Die Instrumente warten schließlich nicht.
FRAU B Solang sie nicht tot auf dem Boden liegen.

(Leises Kichern, die Damen haken sich einander ein und entfernen sich von der Leiche. Geräusche der Stöckelschuhe sind zu hören, verlieren sich nach und nach. Glockenschlag.)

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