Die Suppentat

Die Suppe dampfte und Kinderbeine trampelten in fröhlicher Erwartung wild an Tischbeine, sodass der Tisch wackelte und die heiße Suppe auf dem Tellerrand leicht schwappte. Die Suppe leckte am Tellerrand wie die Zunge des kleinen Mädchens mit den roten Zöpfen, nachdem sie Löffel für Löffel die Suppe gelöffelt und bei jedem flüssigen Happen die Ränder um die Mundwinkel breiter und dunkler malte, stumm, versunken, glückselig trunken in warmer Suppe trautem Heim. Doch noch war der Teller nicht leer, nicht blankgeleckt, nicht weggedeckt. Der Teller Suppe stand auf weißem Tischtuch und das Tischtuch lag auf brauner Tischplatte und die Tischplatte lag auf ebenso braunen Tischbeinen und an die Tischbeine schlug das unruhige Bein des Kindes und brachte den Tisch zum Wackeln. Da ertönte der Startschuss, der Anpfiff, der Segen: Das „Guten Appetit“ von der Mutter. Und das Mädchen mit den roten Zöpfen ergriff flink den Löffel, tauchte ihn wie die gierigen Möwen im Sinkflug durchstoßend das Wasser auf Raubzug, in die Suppe und enthob dem Teller dampfende Schätze goldorangenen Geschmacks und wärmender Nässe. Und ihr Mund schmeckte gierig und kümmerte sich nicht der Ränder um seine Winkel, die mit jedem Löffel breiter und dunkler wurden. Und fröhlich labend hätte es ein Ende nehmen können, hätte sich nicht ein Haar gelöst. Denn das Kind, nichts ahnend schiebend den Löffel zu Munde, sah nicht das Haar auf dem Löffel, in der Suppe. Schon weiteten sich die Augen, das Gesicht verziehend, empörend das Haar aus dem Mund ziehend und schluckend rief es klagend: „Ein Haar in meiner Suppe.“ Und die Mutter es ernsthaft beäugend, meinte, es sei nicht ihres. „Schau, es ist rot und lockig, es ist deins. Ziere dich nicht.“ Doch das Kind, nun wutentbrannt von dieser Rüge schob trotzig den Teller vor. „Ich mag nicht mehr“, meinte es brüsk und verschränkte die Arme. Die Mutter seufzte und aß stumm weiter.
So saß das Kind gekränkt ein paar Minuten vor seinem Teller und mochte keinen Löffel mehr. Da sprang es auf und stürmte aus der Küche. Die Mutter, solche Anfälle gewohnt, pfiff es nicht zurück und überließ es sich selbst.
Nach gut einer Stunde, in der die Mutter das Haar und die Suppenreste entsorgt, die Teller weggeräumt, gespült, getrocknet, die Tischdecke gefaltet und die Fenster geöffnet hatte, sprang die Tür auf und das Kind stand da mit Glatze. Im Gesicht der Mutter stand der Schrecken, als es stolz erklärte: „Jetzt fällt kein Haar mehr in meine Suppe.“
Einen Tag später trug das Kind wieder Zöpfe. Die Mutter hatte ihm eine Perücke gekauft, die das Kind nicht mochte.

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