Die Treppe

(Eine weiße Treppe ohne Absätze ist sichtbar, im Hintergrund ist ein hallendes Ticken wie das einer Uhr zu vernehmen.)

1. Akt
Person 1: Was hechtest du die Treppe hoch?
Person 2: (anhaltend, sich zu Person 1 wendend) Was bleibst du stehen? Wenigstens läufst du nicht rückwärts wie der Mann, der uns eben entgegengekommen ist.
Person 1: Das hatte ich auch gesehen, aber ich verstand es nicht. Letzten Endes verfolgt uns niemand und uns verbindet langfristig das selbe Schicksal. Da könnte man auch langsam laufen, oder sogar rückwärts gehen.

2. Akt
Person 2: Nein. Es erscheint mir bedeutsam, wo man am Ende steht.
Person 1: Das bedeutet, ein Leben ist in seinem Wert anhand der Anzahl der Stufen zu bemessen?
Person 2: Jeder soll sehen können, wo ich stehe – so wie du, dir bin ich aufgefallen. Aber jetzt halte mich nicht länger auf. Ich muss weiter.

3. Akt
Person 1: Wieso glaubst du, dass andere dich so höher schätzen?
Person 2: Schau dir diese weiße, leere Treppe an. Sie ist monoton, langweilig, lässt nur den Weg nach oben oder nach unten zu. Wie sonst sollte ich dieser Leere entkommen, alles ist weiß.
Person 1: Weiß ist eine schöne Farbe.
Person 2: Weiß ist keine Farbe.
Person 1: Wie auch immer, die weiße Leere meint Unbeschriebenheit. Such dir einen Stift.
Person 2: Ich habe meinen liegen lassen. Er war unnötiges Gewicht.
Person 1: Nimm meinen!
Person 2: Ich brauche dich nicht. Mir läuft die Zeit davon. Ich lasse mich zu nichts zwingen.

4. Akt
Person 1: (nach einer kurzen Pause) Ich zwinge dich nicht. Ich lasse ihn dir liegen. Meine Zeit läuft ohnehin bald ab. Mach eine Pause, ich bitt dich.
Person 2: Meinetwegen – aber wehe dir, ich werde um deinetwillen eingeholt.

5. Akt
Person 1: Ich begrüße deine Wandlungsfähigkeit. Es scheinen erste Konturen auf deiner inneren Treppe entstanden zu sein.
Person 2: Wenn du meinst.

(Plötzlich beginnt die zweite Person, zu zeichnen. Allmählich setzt das Ticken aus.)

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