Die Vorhölle

Ein finsteres Gewölbe. Dante und Vergil treten durch einen Höhleneingang herein.
Am anderen Ende des Raumes kümmert der geisterhafte Platon auf einem abgesessenem Felsstumpf wippt hin und her und stottert Unverständliches. In der Entfernung schleifen sich Geschöpfe aus trüb-dunstiger Materie über die felsigen Banken des Raumes

DANTE
Erles´ner, weiß der hohe Himmel bloß …
War´n lebensrot wie Samt und Ros´,
doch eben eure tausendjähr´gen Wangen,
grüßen bleich sie nun, ihr Blühen ganz vergangen.
sich umsehend
Sag, Freund, gilt es da hinnen sich zu hüten ?
Sind widrig dir die schwebenden Gestalten ?

VERGIL
Nun unter ihnen soll´n auch manche brüten,
die Kinder sind, von zwielicht´gen Gewalten.
Und drunter doch die edelsten Gefährten,
von Dichterkön´gen, Fürsten und Gelehrten.
Geläng´s mir wohl sie alle zu benennen,
müsst sie nach diesen Ären innig kennen.

DANTE
Verzeiht. Ihr haust auf diesen schwarzen Wiesen ?
Könnt nicht den Morgen, noch die Nacht begrüßen.

VERGIL
Im Dichterhimmel ? Bei den Hesperiden ?
Wo dachtest du mich hausen, als hienieden ?
Ihr wisst es; Jedem Knechte des Kroniden,
hat euer Gott ein gleiches Los beschieden,
wenn er in seines Lebens bester Blüte,
und jemals bis ans Ende seiner Frist,
bewies´ ihm seines Wesens große Güte.
Allhier was vor dem tief´ren Abgrund ist;
Ein Nichts, das des Infernum´s Hall´n umgürtet,
wo niemand mehr denn Nebel für sich hirtet,
nur auf und ab die Traumesschafe zählt,
und doch den Traume vor all´n Dingen wählt.

DANTE
Ist´s wahr denn ? Jede ungeöffnet´ Blume,
die Gänge säumend, geisterhafter Sohlen,
dorrt hier, da vor dem heil´gen Christentume,
die Seele hat sich ihm der Welt gestohlen.
Ich muss gesteh´n: Der Himmelsordnung Weise,
erkühlt zuzeiten wie ein Märzenswinde,
ist´s denn das Eine, wenn in Klippen dieser Kreise,
zurecht sich krümmt im Staube das Gesinde,
allein; unscheidbar ist´s auch dir gegeben,
allein in diesem Tal umher zu streben.
Und neben euch, wie vielen liebsten Seelen –

VERGIL
Ganz recht: Ein gnadenlos´ Bestehlen !
Der Vater meinte: So soll´s euch ergehe n.
Nun, wer mag den Unsterblichen verstehen ?
Seht ihr den ?

DANTE
Wen ?

VERGIL zum Ende des Raumes deutend
Mögt ihn in diesem Winkel sehen ?

DANTE
Nun, in Klarheit.

VERGIL
Ein Geist, den Glück beseelte in der Wahrheit.
´Gab sich als Platon zu verstehen.

Sie promenieren, Arm in Arm, langsam in Richtung des Platon

DANTE
In meines Lebenspfades frühen Sprossen,
hatt´ ich den kühnen Griechen kaum genossen,
sucht´ ihn zwar an den matten, dürster´n Tagen,
doch ließ für Sonnenwetter seines Volkes Sagen.
Versteh, sie überschlichen mich mit Freuden,
die sonst ein Denker mir nicht mocht´ einflößen.
Bedächtig spielt der die Ballad´ vom Leiden,
und dichtet ständig Fabeln drauf vom „Bösen“.

VERGIL
Man ehrt ihn noch und schleicht auf seinen Wegen.
Das ist den Großen – unter uns – Begehren !
Schmeckt dattelsüß das Fruchtfleisch nicht vom Segen,
den wir genießen, wenn sie uns halb-verehren ?

DANTE
Man tut´s ! Und mag, dank Bräuchen sich beschweren,
aus seinem Beispiel Treffliches zu sieben,
doch euch – uns Dichter, unsere Lorbeeren,
die salbt man, da sie alle Herren lieben.
Auch dir wollt´s der Geist des Schicksals nicht verleiden !
In Rom ist deiner Büste Haupt beblümt –
auch schmamrot blüh´nd in göttlichen Geschmeiden –
mit immer neuem Rosenkranz gerühmt.
Von deines Wortes und Gehirn´s Gelingen,
kann ich dir die und die Ballade singen.

VERGIL
Wahrlich, und ihr seid mir nicht bescheiden ?

DANTE
Wie euch Hexameter der Finger quoll´n,
mein Zwergengeist muss euch ungleich beneiden.
Nein ! Euer Name war noch nie verschollen.

PLATON
Weh ! Dahinaus Unruh´! –
Ich hör die Schatten ja schon stimmen.

DANTE
Still, es spricht –

Dante und Vergil ziehen sich in die Schatten zurück

PLATON
Doch nicht Stimm´? Dein Quell´ schließt wieder zu.
Wohin ist´s nun ? Da war doch grad´ ein Flimmen !
Täuscht ihr mich doch nicht zum ersten Male,
seh´ der zufäll´gen Formen Schein, der schale,
der dauernd dräut den durstigen zagen Sinnen.
Alter Täuscherdämon – Genius, flieh´ von hinnen !
Wen suchst du noch unbrauchbares Organ ?
Gaffst sinnlos hin, hast deine Pflicht getan.

die Finger auf die Augenhöhlen legend

Ihr weisen Quellen, die mit Sonnenlicht,
– dich, Mensch – mit Neugier stets begütet,
wie ruht ihr nutzlos, blinde im Gesicht.
Allein das Unveränderte mir bietet.
Wöllt´euer Lid, doch nie mehr silbern werden,
verhaftet, stumm, am Hain von Affodilen !
Wie schmerzt´s Erinnern an der Hellas Erden,
an meiner Heimat glanzbesonnte Dielen ?
Wie schmerzt des Limbus Unzulänglichkeit,
dem Geist nicht mehr als Stille zu bereiten ?
War mein Verhängnis, in verstrich´ner Zeit,
im Geist der alten Zeit herum zu schreiten ?
Nicht wahr ? Sprich´s mir, hassgetrieb´ner Gott !
War´s nicht, dass ich erahnt´ der Kinder Trott,
sei durch der Moiren Fügungsgarn getrieben ?

Sah ich denn nicht der Erdenwölbung jede Kleinheit,
geheimnisreich im Lote einer Einheit ?
Büßte ich, dass ich´s falscher Macht verschrieben ?
Ach, so nah stand ich der göttlichen Erlösung,
so nah, ich sah: Die Welt ist bloß Verwesung,
dahinter strahl´n Ideen von klarer Artung.
Es prangte hinter diesem Schauspielswerke,
die Allgestalt, die lichtstrahl´nde Erwartung,
unbeschreiblicher, gleichnisloser Stärke –
Nichts davon ! Bei des Schleud´rers Donnerkeilen,
nichts der Nachwelt munteren Schwung gebierte,
und in Idyllen hinter Herkul´s Säulen,
– o in Elysion – lieberwärmend rührte.

Nicht immerhin in steinumschirmten Hallen,
ein Blitz der sengend meinem Mantel härmte,
und unbegreiflich-siedend jeden Nerv erwärmte.
Das löste mich der Langeweile Schnallen !
Wo orang´ne Glut um nackte Klippen tost,
und Funkenquell´n den heißen Sermon rufen,
wo man noch fühlt – ist´s auch der Schmerz. Ein Trost,
ein schwacher Trost herrscht in Urians Stufen !
Doch meiner, meiner ist der schlimmste von den Pfaden:
Am Hain, der fruchtbar für der Trauer Samen,
treibt´s mich in der Erinnerung tief zu kramen,
der Vorwelt, mit der Wollust der Najaden.
Unsterblich mag´s kein Ruhen für mich geben …
Muss immer mit dem Blick, gewandt nach hinten Leben …

Nähmst´ hochwillkomm´ner Hypnos mich an Händen,
nähmst´ mich zu dir, wie Blätter die sanft fliehen,
– zum Himmelsgott im Herbst – und allerenden,
zerfallend seiner Willkür Wege ziehen.

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