Hassliebe

Torwart: Was jetzt?
Ball: Hol mich doch.
Torwart: Und dann?
Ball: Schieß mich vor.
Torwart: Das macht es nicht besser.
Ball: Tritt gegen den Pfosten.
Torwart: Das hilft auch nicht.
Ball: Schrei rum.
Torwart: Nein.
Ball: Dann nicht.
Torwart: Was ist los?
Ball: Sag du‘s mir.
Torwart: Eben warst du da drüben.
Ball: Du bist unkonzentriert.
Torwart: Nein!
Ball: Was lieg ich dann hier?
Torwart: Der Verteidiger hat-
Ball: Du hast.
Torwart: Echt?
Ball: Ihr beide, nur du, egal. Jetzt bin ich hier.
Torwart: Bin ich schuldig?
Ball: Schau die Leute an.
Torwart: Ich sehe sie nicht.
Ball: Sieh genauer hin.
Torwart: Ich sehe nur Striche und Klappen.
Ball: Das ist paradox.
Torwart: Was?
Ball: Hier spielt man Fußball und du benutzt deine Hände.
Torwart: Ja.
Ball: Komisch.
Torwart: Ich muss ja.
Ball: Ja.
Torwart: Mir bleibt nichts anderes übrig, wenn ich dich fangen will.
Ball: Das verstehe ich.
Torwart: Also was?
Ball: Das macht dich zu einem Sonderling.
Torwart: Vielleicht.
Ball: Zu einem Aussätzigen.
Torwart: Quatsch.
Ball: Niemand fühlt das Spiel wie du.
Torwart: Der andere vielleicht.
Ball: Der ist aber dein Gegner.
Torwart: Was heißt das schon?
Ball: Krieg.
Torwart: Du übertreibst.
Ball: Man kann gar nicht übertreiben.
Torwart: Doch, ich weiß das.
Ball: Dann bist du ein Feigling.
Torwart: –
Ball: Dann ist es gut, dass ich hier bin.
Torwart: Du weißt nichts.
Ball: Wieso bin ich dann nicht bei dem anderen?
Torwart: Du warst nicht immer so.
Ball: War ich das nicht?
Torwart: Ja.
Ball: Vielleicht verdienst du mich so.
Torwart: Ich strenge mich doch an.
Ball: Nicht genug.
Torwart: Ich kann doch auch nicht alles verhindern.
Ball: Es geht immer anders. Ein Schritt, ein Kommando. Das Spekulieren in die richtige Ecke.
Torwart: Man kann nicht immer perfekt sein.
Ball: Du versteckst dich hinter Entschuldigungen.
Torwart: –
Ball: Sei kritisch.
Torwart: Das bin ich und wie ich das bin!
Ball: Wirklich?
Torwart: Selbstkritik und Ehrgeiz sind Antrieb.
Ball: Sind wichtig.
Torwart: Sie führen zu Selbstzerstörung.
Ball: Du übertreibst.
Torwart: Druck von innen, bis die Angst kommt.
Ball: –
Torwart: Dann kommen die Fehler. Dann ist es ein Teufelskreis.
Ball: Ist das der Grund für deine Verletzung?
Torwart: Aber ich kann nicht ohne.
Ball: Ich muss ja nicht dein Freund sein.
Torwart: Ich würde es mir so wünschen.
Ball: Du hast simuliert.
Torwart: Ich brauche eine Pause.
Ball: Du lügst.
Torwart: Ich habe die Kontrolle verloren.
Ball: Tja.
Torwart: Weißt du, wie ich dich schon gehalten habe?
Ball: Das ist lange her.
Torwart: Da ging alles.
Ball: Und jetzt?
Torwart: Gegen den gleichen Stürmer, sechs, sieben Mal!
Ball: –
Torwart: Solche Gefühle kriegt man nicht leicht.
Ball: Und heute?
Torwart: So ekstatisch.
Ball: Da sehe ich dich zittern, von weitem.
Torwart: Nein.
Ball: Was war denn gerade eben?
Torwart: –
Ball: Wenn ich zu dir fliege, dann merke ich das doch.
Torwart: Wieso sagst du das alles?
Ball: Es ist nun mal so.
Torwart: Ich liebe dich doch.
Ball: So kriegst du mich nicht.
Torwart: Seit ich sechs bin.
Ball: Mein Gott.
Torwart: Ich habe mich doch davon erholt.
Ball: Bist du sicher?
Torwart: Ja.
Ball: Ich habe dich gehasst lange Zeit.
Torwart: Ich mich auch.
Ball: Ist es wieder da?
Torwart: Nein!
Ball: Wenn du das sagst.
Torwart: Bin ich schuldig?
Ball: Naja, unschuldig bist du wahrscheinlich nicht.
Torwart: Habe ich dich fallen lassen?
Ball: Das hast du nicht.
Torwart: Was habe ich gemacht?
Ball: Du hast Fußball gespielt.
Torwart: Gut.
Ball: Du hast ein Gegentor bekommen.
Torwart: Habe ich.
Ball: Du siehst schlecht aus.
Torwart: Es zerfrisst mich nicht.
Ball: Trotzdem bin ich hier.
Torwart: Ich spiele mit dir.
Ball: Glaubst du nicht, dass ich dir wieder wehtun kann?
Torwart: Das wirst du ganz sicher.
Ball: Bereite dich darauf vor.
(Der Torwart schmeißt den Ball weg.)

Kommentare

  1. Von M am

    Wow!

  2. Von Dunja am

    Sehr gut gelungen, bin begeistert.

  3. Von Tanja am

    Es trifft den Nagel auf den Kopf.
    Bin beeindruckt!

  4. Von Yumestar am

    Zugegeben ich habe nicht jeden Aspekt deines Dramas verstanden, doch was bei mir ankam, waren vertraute Gefühle, die sich nicht klar in Worte fassen lassen. Ich hatte zuerst die Vorstellung eines Depressiven, dann von jemanden, der in einer toxischen Beziehung gefangen ist und es am Ende schafft, sich aus dieser zu befreien, indem er den Ball wegwirft. Dazu gehört viel Mut und Stärke hinzu, und ich habe höchsten Respekt für den Torwart. Und auch wenn mich Fußball eigentlich nicht die Bohne interessiert, bin ich von der Metaphorik und dem Vergleich hellauf begeistert. Ich finde, dass du unglaubliches Talent hast und dass du genau weißt, wie man Gefühle einsetzt, vor allem, wie man sie subtil einsetzt! Ich finde, du hast sehr großes Lob verdient!

Schreibe einen Kommentar