Romeo und Julia in Zeiten von Corona

Erzähler: Zwei Häuser, gleich an Würde und Gebot, euch in Leipzig unser Spiel entdeckt: wie altem Hader neuer Hass entlohnt, mit Bürgerblut sich Bürgerhand befleckt. Wie aus der Feinde unheilschwangerm Schoß – unsternverfolgt – ein Liebespaar entspringt, das erst durch ein unseelig bitter Los der Eltern Zwist zu spätem Frieden zwingt, davon soll hier berichtet werden.

Szene 1
(Junge und Mädchen sitzen jeweils in ihrem Zimmer und telefonieren miteinander, im Zimmer des Mädchens läuft im Hintergrund ein Fernseher)
ER: Wann treffen wir uns endlich wieder?
SIE (traurig): Ich weiß nicht. Es ist ja nicht so einfach. Mein Vater ist schon misstrauisch geworden, da ich so oft nicht zuhause bin und ich immer Ausreden erfinden muss, wo ich war. Wenn er herausfindet, mit wem ich mich treffe …
ER (verzweifelt): Aber ich kann nicht länger warten. Ich muss dich sehen, und zwar nicht nur über Facetime.
SIE (bedauernd): Ich weiß, mir geht es doch genauso. Doch wenn unsere Familien von unserer Beziehung erfahren … Du weißt ja, wie sie sich gegenseitig verabscheuen, zwischen ihnen steht nichts als abgrundtiefer Hass. Meine Eltern fluchen auf deinen Namen; wenn sie uns zusammen sehen, werden sie dich töten!
ER: Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, wie wir uns unbemerkt treffen können. Wieso gehen wir nicht in den Park?
SIE: Im Park sind viel zu viele Menschen. Wenn auch nur einer von ihnen uns sieht, wird es früher oder später die Runde machen, dass wir zusammen sind. Schließlich sind unser beider Eltern keine Unbekannten in dieser Stadt, und wir somit auch nicht. Und solche Gerüchte verbreiten sich schnell, weiß es einer, dann erfahren es auch bald unsere Familien.
ER: Ach, dass die Liebe, die so lieblich scheint, es doch so grausam und tyrannisch meint … Du hast ja recht … Aber irgendwie muss es doch möglich sein, dass ich dich endlich wieder sehen kann!
(Beide schweigen)
(Ein Gong ertönt vom Fernseher und ein Nachrichtensprecher erscheint auf dem Bildschirm)
NACHRICHTENSPRECHER: Willkommen meine Damen und Herren zu den aktuellen Tagesnachrichten. (kurze Pause) Neuer Corona-Lockdown in Kraft getreten: Infolge der immer weiter ansteigenden Inzidenzzahlen, sowie der rasanten Verbreitung der neuen Omikron-Variante beschloss die Bundesregierung nun einen harten Lockdown durchzuführen. Ab sofort soll es nur noch gestattet sein, bei dringendsten Notfällen das Haus zu verlassen. Freizeitaktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände sind fortan verboten und auch zum Arbeiten darf man das Haus nicht verlassen, sondern muss stattdessen im Homeoffice seiner Tätigkeit nachgehen. Mit den Maßnahmen erhofft sich die Regierung eine schnelle Zurückdrängung des Virus, um die bundesweit vollkommen überfüllten Intensivstationen zu entlasten. Schon ab morgen sollen die Regelungen gelten und sind anschließend für eine Dauer von zwei Wochen ausgelegt.
SIE (enthusiastisch): Hast du das gerade gehört?
ER: Ja, die Pandemie ist ziemlich schlimm im Moment.
SIE: Ja, klar, aber der Lockdown.
ER (verwirrt): Was ist damit?
SIE: Verstehst du nicht? Keine Menschen sind auf den Straßen. Das bedeutet, es gibt niemanden, der uns sehen könnte …
ER: Du meinst …
SIE (träumerisch): Wie nur die Liebe, deren Augen blind, um an ihr Ziel zu kommen immer wieder Wege find.
ER (begeistert): Wir sollten uns schon morgen treffen!
SIE: Ja! Im Park?
ER: So früh, wie’s geht!

Szene 2 (Am nächsten Morgen)
(Junge steht in menschenleerem Park nahe einer Parkbank und wartet)
(Mädchen kommt kurz darauf mit einem Fahrrad herbeigefahren)
(Junge und Mädchen sehen sich, rennen aufeinander zu, und fallen sich in die Arme)
ER (fröhlich): Wie ich dich vermisst habe!
SIE (überschwänglich): Und ich erst! Es ist so schön, dich endlich widerzusehen. Was für ein Glück dieser Lockdown nur ist!
ER: Sag mir, wie kamst du her? Dein Haus ist weit entfernt und der Weg bis hier hin lang.
SIE: Kein Hindernis hält Liebe auf, was Liebe kann, dass wagt sie auch.
(Sie umarmen sich erneut und küssen sich)
(Er blickt über ihre Schulter und sieht plötzlich einen Jogger in der Ferne)
ER (erschrocken): Oh nein, da kommt jemand!
(Sie dreht sich um)
SIE (panisch): Verdammt, was treibt der hier? Er darf doch sein Haus nicht verlassen.
ER: Wir müssen gehen!
(Sie schwingt sich wieder auf ihr Fahrrad, er läuft in die entgegengesetzte Richtung los)
SIE (hastig, über die Schulter): Morgen, in aller früh wollen wir uns wieder treffen!
ER: Ja, bis dann. Schon jetzt vermisse ich dich.

Szene 3 (wenige Tage später)
(Junge kommt heim und schleicht sich behutsam durch die Haustür herein, doch als er in den Flur geht, erblickt er seine Mutter, die mit verschränkten Armen dasteht)
MUTTER (wütend): Wo warst du?
ER (unsicher): Ich … war draußen … ich wollte mich bewegen.
MUTTER: Du weißt doch, dass du das Haus nicht verlassen darfst!
ER: Ja, aber … Ich brauchte frische Luft und mir war langweilig.
MUTTER: Wenn dich die Polizei gesehen hätte! Dann bekommst du eine Strafanzeige! Ist dir das klar?
ER: Ja, ich weiß …
MUTTER: Du bleibst gefälligst zuhause! Verstanden? Ich werde ab sofort nachsehen, ob du noch in deinem Zimmer bist, und ich kann dir sagen, wenn du das nicht bist, dann …
ER: Ich werde nicht noch einmal rausgehen, versprochen.
MUTTER: Das will ich für dich hoffen!

Szene 4 (wenige Tage später)
(Junge und Mädchen sitzen beide in ihren Zimmern)
(Der Junge überlegt einen Moment, dann ruft er das Mädchen an)
ER (freudig): Wie geht es dir? Denn nichts kann schlecht sein, wenn’s dir nur gut geht!
SIE: Ich wünschte, ich könnte dir eine andere Antwort geben, doch gerade geht es mir schlecht. Mein Hals schmerzt ein wenig und ich fühle mich so müde. Im Moment sollte ich lieber vorsichtig sein … wir treffen uns besser erst wieder, wenn feststeht, dass ich kein Corona habe. Apropos Treffen: Ist deine Mutter eigentlich immer noch so argwöhnisch?
ER (missmutig): Ja, sie sieht seitdem jeden Tag mehrmals nach, ob ich noch da bin. Außerdem hat sie die Haustür von innen abgeschlossen und mir meinen Schlüssel weggenommen.
SIE (traurig): Sieht wohl nicht so aus, als ob wir uns demnächst sehen können …
ER: Ja, das fürchte ich auch. (seufzt)
(Im Zimmer des Mädchens schreit aus dem Hintergrund eine Stimme)
SIE: Mein Vater ruft mich, ich muss auflegen.
ER: Nein, sprich weiter, holder Engel! Wenn ich dich schon nicht sehen darf, will ich wenigstens deine Stimme vernehmen.
SIE: Mein Vater kann es nicht leiden, wenn man ihn warten lässt. Ich gehe besser. Doch lass uns später noch einmal telefonieren.
ER: Nun gut. Aber ruf zurück, sobald es geht! Und ruh dich aus, damit du dich bald wieder besser fühlst!

Szene 5
(Beide liegen in Krankenhausbetten und sind an verschiedene Geräte angeschlossen. Sie sehen blass und erschöpft aus)
ER: Wer hätte gedacht, dass es so enden würde? Uns beide hat das Virus stark getroffen und zu allem Unglück gibt es keine Beatmungsgeräte mehr. Ich hätte nicht gedacht, dass mein Ende so schnell kommen würde.
SIE: Auch wenn unser Leben endet, so bleiben wir im Himmel zusammen, das schwöre ich dir beim Segen des Mondes!
ER: O schwöre nicht beim Mond, dem Wandelbaren, der immerfort in seiner Scheibe wechselt, damit nicht wandelbar deine Lieben sei! (hustet schwach)
SIE: (kraftlos): Ein Schleier dunkler Nacht legt sich über mich, das Leben entweicht aus mir – der Liebe Last bringt mich zum Sinken. (ihr Körper erschlafft)
(Er kriecht mit letzter Kraft zu ihrem Bett und küsst sie)
ER: So sterbe ich, unter deinem Kuss! (sinkt kraftlos zusammen)

Erzähler: So wilde Freude nimmt ein wildes Ende und stirbt im höchsten Sieg, wie Feuer und Pulver im Kusse sich verzehrt.

Kommentare

  1. Von Anonym am

    Ganz witzig, aber das Ende war irgendwie klar …

  2. Von 8a des MvLG am

    Das Stück ist sehr gut gelungen. Die modernen Umstände sind passend eingebaut worden. Cool!

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