Vom Vogel der nicht beim Fallen gemalt werden wollte

(Gegenwart in einem Museum. Es ist dunkel, die Bühne ist schwarz. Man hört eine Stimme durch den Raum hallen. Langsam wird ein Gemälde (Baselitz’ Adler von 1972) an einer Museumswand (Bühnenwand), sichtbar. Ort: Museum in dem Baselitz’ Adler hängt. )

ADLER IM BILD: Hallo? Hört mich jemand? Egal, fang ich eben an: (räuspert sich) Hier bin ich mitten in der Luft. So wie ich hänge, stürze ich. Von oben nach unten durch den Raum und auch durch einige Zeit. Zurück. Ich erinnere mich an damals und höre mich reden:

(Zeitwechsel: jetzt in der Vergangenheit im Atelier eines MALERS, (Baselitz): DER MALER und der ADLER sind anwesend.)

(Man hört zuerst Schritte. Eine Figur, der ADLER, läuft auf der Bühne vor einer bemalten Leinwand, die sich auf einer Staffelei befindet, auf und ab. Der Lichtkegel wandert mit ihm mit. Ein weiterer Lichtkegel beleuchtet das Gemälde auf der Staffelei. Es soll ihn, den ADLER, abbilden. Philosophierende belehrende Gesten seitens des ADLERS.)

ADLER: Ohne hier eine Grunddiskussion über Relativitätstheorie führen zu wollen möchte ich dem widersprechen. So. Was das für eine Aussage ist. Ich stürze. Mich stürzend darzustellen. Mal eben so, wie durch Zufall. Als ob das ich wäre. Als ob das mein Normalzustand wäre. Wenn ich stürze, stürze ich mit Absicht. Ich, als einer der mächtigsten Vögel unter den Vögeln. Ich erlaube mir selten einfach so zu stürzen. Gibt schließlich einen Grund. Hunger und so. Nein, da stürze ich öfter. Oder wenn ich gerade Lust habe, nicht durch die Luft zu gleiten! Sondern die Luft an mir vorbei gleiten zu lassen. Also Raum und Zeit an mir vorbei. Quasi. Und es wird immer schneller und schneller und schneller und dann mache ich mich breit und fange den Schwung ab. Da häng ich aber nur so im Bild. Völlig unrepräsentatives Bild.

(Der MALER erscheint als Schatten neben der Leinwand, einen Pinsel in der Hand. Die Figur des Malers ist in einen schwarzen Ganzkörperanzug gekleidet, sodass er auf der Bühne wie ein Schatten aussieht)

MALER: Aber, was meinen Sie genau?

ADLER: Was ich meine, na also Sie haben mich hier schon in einer unmöglichen Position abgebildet. Und ich erscheine zerfetzt. Irgendwie faserig. Ins blaue Blau stürzend. Und über mir das grauere Blau. Ins Blaue, durch ein Himmelsfenster, zwischen den Wolken. Und darunter regnet es bunt. (Adler deutet fuchtelnd auf den unteren Teil des Bildes.) Und dann hört die Welt auf! (Kopfschütteln)

Der MALER (aus dem Off als Schatten neben der Leinwand, fragt): Und sonst?

ADLER: Wie ich es sonst so finde? Ich sehe ja aus als ob ich alt wäre. So graue Federn. Und faserig. So viele graue Federn habe ich doch noch gar nicht. Letztens habe ich mir erst wieder die Federn nachgefärbt. (Ein Spiegel erscheint neben der Staffelei an der Bühnenwand. DER ADLER streicht sich über sein Kopfgefieder.)

ADLER: Pechschwarz. Ja und mit Strähnchen, in Blau. Neueste Trendfarbe. Mein bester Freund hat sich ganz blau färben lassen, den sieht man am Horizont gar nicht mehr. Unsichtbar. Und doch sind wir alle da.

MALER (als Schattenfigur): Dann wünschen Sie eher etwas Improvisiertes?

ADLER: Ja, nein, nicht improvisieren! (ADLER deutet auf sein Spiegelbild) Sehen Sie, aber eigentlich bin ich bunt, braun und grau und ein bisschen weiß und rot an meinen Greifen, orange-rot, rostbraun, mehr feuerrot wie mein Auge. Und ich habe von Natur aus etwas Rot im Kopfgefieder, sehen Sie? Ja. Nein. Mein Verwandter fünfundfünfzigsten Grades, der ist Phönix. Ja, daher die rote Strähne. Ja ja und mein Auge. Lavarot. Das sieht man deutlich. Ja das gefällt mir.
(Der ADLER verschnauft kurz. Dann fährt er fort.)

ADLER (Flügelarme hinter dem Rücken verschränkt, schaut erschreckt Richtung Publikum): Aber ich schaue etwas erschreckt. Nein, so schaue ich gar nicht. In Wirklichkeit.
(MALER murmelt Unverständliches: etwas von künstlerischer und interpretativer Freiheit.)

ADLER: Das verstehe ich nicht, was Sie da sagen! Künstlerische Freiheit!
Wieso andere Wirklichkeit darstellen? Der Auftrag war ein Portrait! Real! Von mir! Hören Sie!

ADLER: Drehen Sie es doch mal um!
(Adler deutet auf das Gemälde. Das Bild wird umgedreht und steht nun aufrecht auf der Staffelei.)
ADLER: Immer so auf den Kopf, also! Man muss mich ja sehen, die starke Brust. (Adler steckt die antrainierte Brust heraus) Die große Spannweite. (Zeigt seine aufgepumpten Flügel)

(Der MALER murmelt etwas Unverständliches.)

ADLER: Wie meinen Sie das, ich passe nicht drauf? So, ich soll mich dem Rahmen anpassen, ja? Ich? An den Rahmen? Nein, also unerhört.

(Der MALER gibt nun fragende Aussagen von sich, die der ADLER wie ein Echo wiederholt und als Schmeicheleien versteht.)

ADLER (nun aufrechter): Stimmt. Da haben Sie recht.
MALER: Mächtig vielleicht?
ADLER: Mächtig, ja? Ja. Meine Schokoladenseite, ja natürlich. Ach, jetzt bin ich aber geschmeichelt, ich werde ja ganz rot. Hach, ja klar so den Sturz abfangend.
MALER: Stärker?
ADLER: Macht mich stärker? Finden Sie? Seien Sie doch nicht so. Nein also wirklich. (Zustimmende Laute vom MALER.)
ADLER: Hören Sie schon auf, ach nein. (ADLER betrachtet sich im Spiegel, der beleuchtet wird)

MALER: Vielseitigkeit?

(ADLER nun quasi zu sich selbst, man hört nur mehr schmeichelnde Flüsterei vom MALER. Der ADLER wiederholt immer laut, seinen eigenen Kopf vorm Spiegel streichelnd.)

ADLER: In vielen Farben darstellen, ja.
Vielseitigkeit ja.
Jetzt verstehe ich.

(Eine Gestalt in einem dunklen (Ganzkörper)anzug (=der Maler) dreht das Bild um. Der abgebildete Adler steht jetzt wieder Kopf.)

ADLER: Ja, oh, jetzt drehen Sie ’s wieder um.
Nein warten Sie ich will, also ich finde, aufrecht ist doch besser. Immer so Kopf also. Das geht doch nicht. Lassen Sie doch –

(Der MALER geht unbemerkt von der Bühne während der ADLER sich im Spiegel betrachtet. Er hinterlässt einen Kassettenrecorder mit Aufnahmen schmeichelnder Flüsterei in Dauerschleife. Was der Kassettenrecorder da von sich gibt, ist der Kreativität des Theaters überlassen. Es ist allerdings auch möglich sich an den Aussagen des ADLERS zu orientieren und ein ähnliches Echo wie zuvor zu erzeugen.)

MALER: unverständliches Gemurmel in Dauerschleife, nur ab und zu ist ein Wort verständlich.

ADLER (jetzt quasi im Monolog, nur ab und zu versteht man etwas vom Gemurmel des Malers): Andere Perspektive? Ich soll das anders sehen? Von der anderen Seite der Welt steige ich auf? Wie? Aber falle ich denn nicht ins Nichts da? Da das Weiße.
Nein – Da ist so bunter Regen. Sehen Sie das?
Ach, Zufall. Kein Zufall. Bunter Regen.
Achso, Zukunft soll das sein. Aha. Strahlender Regen. Jaja. Das wäre mal was Neues. (Adler dreht sich kurz zwinkernd ins Publikum)

ADLER: Strahlender Regen, wären wir ja alle ganz, also ganz geblendet, verstrahlt quasi. Hjahaha. Ja, wollen wir es nicht doch umdrehen? Nein? Achso, im Kopf vorstellen.
Aha. Achso der Regen würde dann nach oben fallen. Äh steigen, meinen Sie? (Handbewegung nach oben) Doch fallen. (Handbewegung nach unten, kurze Pause)

(Im Folgenden der Adler scheinbar auf das gleichmäßige Gemurmel des Malers antwortend (sanftes erklärendes Auf und Ab in der Stimme des Malers vom Kassettenrecorder). Die Malerfigur hat sich jetzt wieder auf die Bühne geschlichen und an den Rand der Bühne, die Publikumsseite, gelegt mit einem Strohhalm im Mund vor sich hin dösend. Er beachtet den Vogel auf der Bühne gar nicht mehr.):

ADLER: Andere Welt?
Dimension. Ja aber sehen Sie, Relativitätstheorie, weiß ich jetzt nicht, ob das was – also. Muss man das darstellen? Muss das denn gezeigt werden? Dass der Regen auch nach oben fallen kann?
Nein, ich meine, also das ist mindestens so unwahrscheinlich wie dass wir mal verstrahlten Regen kriegen. Als würde ich, als einer der mächtigsten Vögel auch noch der Natur unterstehen! Niemals! Wenn, dann kontrolliere ich Zeiten und Räume, in denen ich fliege. Ich beherrsche die Lüfte! Nein, das will ich jetzt nicht diskutieren!
Also das ist ja eine Unverschämtheit! Ich sei nicht offen für Kunst! Ts! Warum tanze ich denn hier an? Also, wie können Sie das sagen.
Nein. (Drohende Geste Richtung Bild) Kunst ist nicht frei! Ich gehe! Ich gehe jetzt. Das verbitte ich mir! Das werde ich ganz sicher nicht zahlen.
Ich wünsche Ihnen keinen schönen Tag! Auf kein Wiedersehen!

(Die Bühne wird schwarz. Dann blitzt das Licht einige Male auf bevor es wieder heller wird. Wieder in der Gegenwart (fast 50 Jahre später): Ort = Museum, in dem Baselitz‘ Bild hängt)

ADLER IM BILD spricht: Das ist das, an was ich mich immer wieder erinnere. Mein Gespräch von damals. Und doch bin ich jetzt hier. Mein Bild. Ein Überbleibsel von mir. Sie meinen ich sei fiktional. Achso? Viele Adlermodelle und dann eins gezeichnet und zusammen gemalt aus Adlerstudien. Ja das stimmt. Aber seit den vielen Jahren, bald schon ein Jahrhundert, das ich in dem Bild stecke, kann ich euch eins sagen. Realitäten überschneiden sich. So in mir. Viele verschiedene Adler bis es zu mir kam. Und jetzt stecke ich in 2D fest. Und doch scheint es als würde ich jeden Moment rausfallen. Denn der Maler, also mein Maler von damals war so dreist eine Anleitung abzugeben. Ja man sollte mich verkehrt herum aufhängen. Hja. Und so können mich alle nur so sehen. Irgendwas mit Blickwinkel ändern oder so. Völliger Schwachsinn. Kein Mensch will das. Viel zu anstrengend. Ist ja nicht so als könnte man eine Leinwand einfach umdrehen. Im Museum. Oder einen Kopfstand machen. Als sei ich von Anfang an verkehrt herum gewesen. Also so eine Unverschämtheit. Ich fühle mich doch richtig rum. Was wirklicher ist? Das Bild oder ich? Was für eine Frage. Ich war wirklich echt. Aber hier hänge ich jetzt schon wirklich lange. Also rein grammatikalisch-logisch? Bin ich zweimal wirklich mindestens. Ich bin wirklich. Das ist mindestens genau so wahrscheinlich wie verstrahlter Regen. Hatten wir auch schon. Sehr real. Da kann man sich ja jetzt überlegen, ob ich da bin oder nicht.

Kommentare

  1. Von kaija am

    Einfach phantastisch!

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