PAPIERE

(Ein Büro; ein Beamter im Anzug, ein Mann)
B: Sie sind also hier wegen des Stempels, richtig?
M: Ganz recht.
B: Nun, da helfe ich Ihnen doch gerne-
M: Sie sind meine Rettung, Tausend Dank!
B: Sobald sie die Prüfung bestanden haben.
M: Die Prüfung? Welche Prüfung?
B: Es war doch klar ausgeschildert im Handbuch für dem Amtsbesuch auf der vierten Seite unten links: Zum Erhalten des Stempels vom Amt für Passausstellung ist das Bestehen eines Gesprächs notwendig. Dieses ist mit dem verantwortlichen Angestellten zu führen. Wussten Sie das nicht?
M: Nun ja, ich muss es wohl überlesen haben.
B: So so, ich hatte Sie als durchaus organisierten Menschen wahrgenommen, aber-
M: Der bin ich! Wirklich.
B: Das werden wir erst noch sehen. Also: das Gespräch. Es ist im Grunde recht einfach. Ich stelle Ihnen Fragen und wenn mir Ihre Antworten gefallen, dann bekommen sie diesen Stempel hier. Und wenn nicht, nun dann kommen Sie in einem Jahr wieder.
M: Ein ganzes Jahr?
B: Nun, nun, beruhigen Sie sich. Jetzt führen wir erst mal das Gespräch, mein Herr. Setzen Sie sich.
M: Gerne doch.

(M setzt sich)
B: Wie ich sehe, sind Sie verheiratet?
M: Ganz recht, ja. Seit zwei Jahren schon, ich-
B: Gut, Ihre Antwort war ausreichend, vielen Dank.
M: Entschuldigen Sie, das war nicht-
B: Sie sind angestellt als Reiniger von, ich lese das hier aus Ihrem Dokument einmal ab, Kaf-fee-ma-schi-nen. Ist das korrekt?
M: Das ist korrekt.
B: Was tun Sie – als Kaffeemaschinenreiniger?
M: Wenn eine Kaffeemaschine sagen wir mal tropft oder die Bohnen nicht recht mahlt oder den Schaum nicht mehr aufschlägt, dann reinige ich sie und halte sie in Schuss.
B: Interessant. Und was treibt sie dabei an?
M: Das ist eine gute Frage. Ich verdiene damit nun mal mein Geld und ich bin, wenn ich das so sagen darf, handwerklich recht geschickt.
B: Erlauben Sie mir diese Bemerkung: Sie sind eigentlich nur ein Resteauffänger. Wenn alles perfekt liefe, wären Sie überflüssig. Was sagen Sie dazu?
M: Ach, das würde ich nicht so sagen. Ich glaube, etwas handwerkliches Geschick wird man immer brauchen, solange ich lebe zumindest noch. Hoffentlich.
B: Oder liegt es vielleicht daran, dass Sie sich nicht eingestehen können, wie unwichtig Sie in Wirklichkeit sind? Um den Stempel erhalten zu können, müssen Sie bereit sein, Kritik annehmen zu können, das wissen Sie doch, oder? Wollen Sie denn den Stempel überhaupt?
M: Sicher.
B: Dann zeigen Sie es doch, mein Herr.
M: Ich bemühe mich ja.

B: Nun gut, ich möchte mal nicht so sein. Ich werde Sie innerhalb der nächsten zwei Wochen über meine Entscheidung informieren.
M: Welche Entscheidung?
B: Na, ob Sie die Anlagen erfüllen, um den Stempel zu erhalten. Das ist doch, weshalb Sie hergekommen sind.
M: Sicher, sicher. Zwei Wochen also. Tja, also ich meine: Ginge das nicht etwas schneller?
B: Jetzt drängelt der feine Herr also auch noch. Ich sagte übrigens nicht *in* zwei Wochen, ich sagte *innerhalb* der nächsten zwei Wochen. Damit meine ich: Sie könnten den Stempel auch morgen bekommen, oder vielleicht übermorgen oder aber – und damit möchte ich Sie nicht entmutigen – auch gar nicht.
M: Wann kann ich denn ungefähr mit einer Antwort rechnen?
B: Das ist unmöglich zu sagen und geht über meine Befugnisse heraus, tut mit leid.
(B steht auf)
B: Also dann. Sie erhalten Ihre Antwort. Auf Wiedersehen.
(M steht auf, verwirrt)
B: Ja, auf Wiedersehen.
(M tritt ab)

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