Wann sehe ich dich wieder?

Ruby´s Sicht:
Ich rannte, hielt die zahlreichen Schichten meines Seidenkleides in den Händen. Stolperte im fahlen Licht des Mondes und wäre beinahe gefallen. „Verdammte Mode des Siebzehnten Jahrhunderts!“ Fluchte ich und wartete darauf dass sich wie gewohnt eine rot leuchtende Öffnung vor mir auftat. „Bitte, wer auch immer da oben ist. Beeil dich und hol mich schleunigst aus diesem schrecklichen Jahr heraus!“ Als ob es mich vor Ihm retten würde. Panisch wand ich meinen Blick auf die graue Gestalt hinter mir. Sie lief nicht schnell, nein eher spazierte sie ganz gemütlich vor sich hin, mit einem tief in die Stirn gezogenem Hut und qualmendem Atem. Eine eisige Kälte ging von ihm aus, obwohl es eine warme Julinacht war, und zauberte mir eine Gänsehaut auf den Körper. Und trotz seines langsamen Schrittes war der Teufel in Person mir dicht auf den Fersen. Ich sah, atemlos von der Enge des Korsetts, auf die tatooähnliche Zeichnung die meinen Unterarm zierte. Die Rose hatte beinahe alle Ihre Blätter verloren und gab nun langsam die Uhr in ihrer Mitte frei. Sie tickte schneller als eine normale Uhr und besaß keine Zahlen anstelle der Zahlen hatte sie Blumen. Zwölf Stück und meine ganz oben. Eine rote Rose. Sie war die Einzige die in der Dunkelheit schimmerte. Alle anderen blieben fahl wie ein normales Tattoo. Gerade als sich das letzte Blatt der Blume löste und leuchtend von meinem Arm rieselte, fing das blaue Vergissmeinnicht zu glimmen an. Bevor sich das rote Portal vor mir auftat und ich geradewegs hineinrannte konnte ich ein blaues Leuchten, einige Meter vor mir erkennen. Es war mir nicht unbekannt.

Rotes Licht hüllte mich ein, riss mir die Kleider vom Leib und tauschte sie gegen meine gewohnten Klamotten. Die Jahreszahl unter der Rose spulte sich nach vorne und machte aus 1674, 2022. Die gelockte und hochgesteckte Frisur, passend zur Zeit des Barocks, verwandelte sich zurück in den wirren, dunkelbraunen Wasserfall an Haaren der mir sonst immer über die Schultern viel. Und plötzlich stand ich wieder in London. In meiner Zeit aber an der selben Stelle an der ich zurück gesprungen war, direkt neben der Themse. Das beruhigende Rauschen des Wassers lies das Adrenalin in meinem Blut abflauen und ich konnte wieder aufatmen. Ein erneuter Blick auf meinen Unterarm. Die Rose war nun wieder eine zarte Knospe und würde wie sonst auch erst nächsten Vollmond wieder in voller Blüte stehen. Das Glimmen war nun nicht mehr erkennbar, vielleicht war er irgendwo in der Nähe. Ich blickte mich um, nichts. Eine heiße Träne rollte über meine Wange. „Irgendwann sehe ich dich wieder Lucas…“ Flüsterte ich und blickte in das grelle Licht des vollen Mondes über mir.

Lucas Sicht:
Ich konnte für einen kurzen Moment in ihr vor Angst verzerrtes Gesicht blicken als ich eingehüllt in die Mode des Barocks aus einer Seitengasse trat. Ihre Züge waren mir vertraut wie keine anderen. Ihre grünen Augen, die hohen Wangenknochen, die von Sommersprossen übersäten Wangen und ihre rosigen Lippen. Ihr Blick war auf ihren Unterarm geheftet und zur Angst mischte sich Überraschung. Sie hatte mein Leuchten gesehen. Genauso wie ich vor wenigen Sekunden ihres entdeckt hatte. Ich könnte sie nicht lange sehen, denn unsere Portale taten sich auf und katapultierten uns in unsere jeweilige Zeit zurück. Im blauen Licht und nach einigem ziehen und zerren stand ich wieder in Jeans und T-Shirt an der Themse. Ich blickte unter das kleine Pflänzchen an meinem Unterarm und sah die gewohnte Jahreszahl darunter prangen. 2019. Wieso hatte dieser schräge Familienfluch nur solche verrückten Regeln. Warum musste jeder, jeden Vollmond in die Zeit zurück reisen und warum reiste jeder von uns Zwölf immer in die selbe Zeit, an den selben Tag aber man startete nicht vom selben Tag aus? Warum in Gottes Namen muss jeder mit diesem Fluch, am 13. Juli, mit siebzehn Jahren in das Jahr 1674 reisen!? Frustriert kickte ich einen Stein in die Themse und sank auf die Knie. „Warum, Ruby, musst du in der Zukunft leben? Warum können wir nicht ganz normale Teenager sein? Und warum kann ich nur bei dir sein, wenn wir beide für ein wissenschaftliches Experiment genutzt werden?“ Vereinzelte Tränen zierten meine Wangen. „Bitte Gott, lass mich wieder bei ihr sein…“

Kommentare

  1. Von Pia am

    Super geschrieben! Sehr spannend, man möchte gleich wissen wie es weiter geht.

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