Die Treppe zur Freiheit – oder nicht?

(vor einer riesigen Treppe bis zur Decke, zwei Teenager, leicht bläuliches Licht)

SHADOW: Wie gerne würde ich nur hinaufgehen … (seufzt) Aber es ist zu viel zu tun: die Hausaufgaben, dann das Geschirrspülen und ich wollte ja noch mit meinen Freunden chatten – und in zwei Wochen noch dieses blöde Referat. Man ey, einmal frei sein, das wäre was!

VIVIEN: Ja, aber wie du schon gesagt hast, du hast eine Menge zu tun. Vergiss ja nicht, dass du schon in fünf Wochen Sommerferien hast und dann machen kannst, was du willst.

SHADOW: Ja, doch nach einem Plan frei zu sein ist eben keine echte Freiheit! Nein, das kannst du nicht Freiheit nennen, wenn du nur von zehn bis vierzehn Uhr frei bist und in der Nähe Sachen machen darfst, die du willst. Und nur die ungefährlichen. Und nur die anständigen. Und und und …

VIVIEN: Vergiss nicht die Nachmittage! Und wenn du früher hinaus willst, kannst du eben nicht ausschlafen, so einfach.

SHADOW: Als ob mich meine Eltern um drei Uhr rauslassen, nur weil ich mein Frühstück gegessen habe. Nein, das echte Leben, das geht anders! Stell dir nur mal vor, dass du einfach diese Treppe hinaufgehen könntest und die ganze Nacht ganz allein da oben auf dem Dachboden hocken könntest, ohne dass du gezwungen wirst, dass du immer etwas Nützliches tust.

VIVIEN: Also ich hätte echt Angst. Freiheit ist eines, mal mit den Freunden abhängen und coole Sachen machen, aber ganz allein da im Dunkeln auf dem Dachboden … nee, das wäre echt nichts für mich. Schön, sich mal ein richtiges Abendteuer vorzustellen, das ist echte Freiheit für mich. Aber doch keine Nacht auf dem Dachboden! Da oben war seit fünfzig Jahren niemand!

SHADOW: Ja deshalb! Wer weiß, was für Leichen man da finden kann … (zwinkert)

VIVIEN: Ja, tote Ratten und dergleichen. Oder gar irgendein verstaubtes Zeug, vielleicht gar einen verrosteten Nagel und dann kratz ich ab, nur weil du nach Leichen suchst! Nee, lass mal die Leichen Leichen sein und kümmere dich um die Hausaufgaben. Ich mach sie nicht schon wieder für dich, das kannst du vergessen!

SHADOW: Spaßbremse … Ich würde es so gerne tun, aber immer redest du mir ein schlechtes Gewissen ein, wenn dann was schiefgeht. Wenn du bloß nicht so oft Recht haben würdest …

VIVIEN: Habe ich aber! (lacht)

SHADOW: Na gut, aber dann gehen wir am Wochenende ins Kino! In einen echten Horrorfilm. Oder wenigstens ein Krimi. Aber mindestens ab zwölf Jahren, nicht schon wieder so ein Kinderfilm wie beim letzten Mal!

VIVIEN: Hey, das war ein Märchen! Stell dir mal vor, der Prinz auf dem weißen Pferd … (schaut verträumt)

SHADOW: Was für ein Albtraum! Lieber einen echten Killer, der hat wenigstens Ahnung vom Leben. Stell dir mal vor, Jeff the Killer hier in der Stadt …. (schaut verträumt)

VIVIEN: Was für eine Fantasie du bloß hast! Manchmal frage ich mich echt, wie wir Schwestern sein können.

SHADOW: Ich weiß, was für ein Jammer, dass du so ein Feigling bist.

VIVIEN: Bin ich gar nicht!

SHADOW: Gehen wir dann hoch?
(Vorhang fällt zu)

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