Eine kleine Fabel vom Warten, vom Träumen und vom Fliegen
Es war einmal ein gebildeter Pinguin, der saß am Rand einer Eisscholle und las aufmerksam ein Buch über Zugvögel. Normalerweise liebte er das Lesen, doch an jenem Tag konnte er sich nicht auf das Geschriebene konzentrieren. Immer wieder huschte sein Blick zu einem Bild, welches einen Vogelschwarm vor einem Sonnenuntergang zeigte. “Ach, wie wunderbar wäre es doch, fliegen zu können…”, sagte er nachdenklich zu niemandem bestimmten. Langsam wanderte sein Blick zu seinen eigenen Flügeln und er schüttelte mutlos den Kopf. Probeweise stand er auf und schlug ein paar mal damit, man konnte ja nie wissen, doch er hob natürlich nicht ab. Einige Male hüpfte hoch, ehe er niedergeschlagen zu Boden sank. “Vielleicht sind meine Flügel einfach noch nicht ausgewachsen. Vielleicht braucht es bloß noch ein wenig Zeit.”, murmelte er. Er ließ sich rücklings auf das Eis fallen und begann zu warten.
Stunden verstrichen, die Sonne tanzte flach über den Horizont und schließlich wurde es dunkel. Als die Nacht nahte, blickte der Pinguin enttäuscht in den Himmel. Schnee fiel herab und bedeckte seine nutzlosen Flügel. “Wie gern wäre ich auch eine Schneeflocke.”, dachte er. “Dann könnte ich ganz leicht durch die Luft segeln. Oben in den Wolken kann man bestimmt bis nach Indien sehen.” Er lächelte wehmütig. “Indien… Dorthin wollte ich schon immer reisen. All die bunten Farben! Danach würde ich nach Australien fliegen und ein paar freundliche Kängurus kennenlernen. Und als nächstes nach Österreich, um die Alpen zu bewundern! Und dann….”
Langsam, ganz ohne, dass er es wirklich bemerkte, hob der Pinguin ab. Seine Gedanken begannen zu fliegen und trugen ihn zu hohen Bergen, wilden Städten und in die endlosen Weiten des Himmels. Und mit seinem fliegenden Teppich aus Vorstellungskraft brauchte er ganz plötzlich seine Flügel nicht mehr.
Kommentare
So eine tolle Auffassung des “Pinguine können nicht fliegen”- Tropes. Passt sehr gut zum Thema!