Freiheit* (*oder so)
(Dunkel, das Rauschen des Meeres ist im Hintergrund zu hören, dann schiebt sich langsam aber sicher Hufgetrappel unter das Grundrauschen, etwas macht “klonk”, wie als ob jemand eine Person abwerfen würde.)
(Licht geht an, Schattenrisse einer jungen Frau und eines Stiers sind hinter einem leicht durchsichtigen Tuch zu sehen)
Europa: Bringe mich sofort wieder zurück!
(Ein Stier schnaubt.)
Europa: Was willst du von mir? Bin ich jetzt eine Gefangene in deinen Mauern?
(Der Stier wandelt sich zum Menschen – genauer gesagt zum Gott Zeus. Dieser lacht hämisch, aus seinen Händen zucken Blitze.)
(Licht an, freie Sicht auf die Bühne. Eine junge Frau in einer Toga sitzt auf dem Boden, ein paar Halme Stroh sind um sie verteilt. Zwar gibt sie keinen Laut von sich, doch man merkt, dass es ihr alles andere als gut geht.)
(Auf einmal kommt ein modern aussehendes Mädchen auf die Bühne, sie telefoniert und sieht augenscheinlich wütend aus. Europa beobachtet sie derweil.)
Mädchen: W-WAS? Das könnt ihr doch nicht machen! Ihr habt mir doch mein Leben lang erzählt, dass ich tun soll, was mich glücklich macht! Und jetzt, wo ich es endlich mal weiß, da sagst du NEIN? Habe ich mein ganzes Leben wirklich in einer Lüge gelebt? Papa? Hallo? Mist, die Verbindung ist instabil. Wie meinst du, du bist mit mir noch nicht fertig? Papa? (Sie beendet den Anruf. Sie bebt noch vor Wut, als sie plötzlich Europa sieht. Sie mustern sich gegenseitig, niemand traut sich ein Gespräch anzufangen. Schließlich seufzt Europa.)
Europa: Was macht dich denn glücklich?
Mädchen: Theater.
Europa: Und warum?
Mädchen: Weil halt.
(Stille)
Europa: Theater ist auch mir eine Quelle des Glücks.
Mädchen: Ach ja? (Pause) Das Zuschauen?
Europa: Das natürlich ebenfalls, doch es ist nicht das einzige. Der Entstehungsprozess dahinter ist das, was auf mich eine Faszination auswirkt. Mein Bruder ist Schauspieler, weißt du, und hatte das große Glück bei vielen Stücken zuschauen zu können. Wenn auch nur heimlich..
Mädchen (kommt näher, setzt sich neben sie): Ich mag Theater auch gerne. Seit meiner Hospitanz kann ich an nichts anderes mehr denken! Doch für meine Eltern wirkt das Theater nicht sonderlich faszinierend, die haben da ihre Vorbehalte…
Europa: Du meinst, Frauen im Theater?
Mädchen: Nein?
Europa: Warum verneinst du? Wollen deine Eltern wie meine nicht, dass du arbeitest?
Mädchen: Doch, doch, eben schon.
Europa: Und was ist dann das Problem?
Mädchen: Sie wollen nicht, dass ich – ich zitiere- “in einem unterbezahlten Berufsfeld” mit kaum Arbeitsplätzen und noch weniger Aufstiegschancen” arbeite.
Europa: Aber das Theater trägt an den Menschen doch so viel heran. Ist es nicht eine ehrenvolle Aufgabe?
Mädchen: Ich weiß ja nicht, in welcher Welt du lebst, aber in der würde ich auch gerne leben.
Europa: Glaube mir, ich würde liebend gern mit dir Platz tauschen. Eine Welt, wo Frauen arbeiten dürfen…
Mädchen: … aber immer noch weniger Gehalt bekommen als Männer, die gleich qualifiziert sind!
Europa: Schau, und ich befinde mich hier in diesem elenden Erdloch, da ein gewisser Gott seinen Gelüsten nicht standhalten konnte.
Mädchen: Oh.
Europa: Da staunst du, was? Ich bin jung und hatte Träume. Ich wollte mit meinen verehrten Eltern an ferne Küstenstädte reisen und Muscheln aller Art sammeln. Jetzt würde ich alles tun, damit mir wieder die Meeresluft um die Nase weht.
Mädchen: Am Ende sitzen wir doch alle im gleichen Boot, oder? Wir können beide unserem Herzen nicht folgen, da wir beide eingesperrt sind. Du wortwörtlich und ich von sozialen Erwartungen. Freiheit bleibt uns verwehrt.
Europa: Ich hatte mir für die Frauen von morgen immer eine bessere, eine selbstbestimmte Zukunft gewünscht, in der sie frei sind zu tun, was auch immer sie wollen.
Beide: Aber was ist denn bitteschön Freiheit?