Illusion

Für mich ist Freiheit das, woran ich denke, wenn ich abends auf mein Zimmer gehe, die Tür abschließe, mir eine Decke nehme und das Licht ausmache. Wenn ich mich dann draußen auf die Bank auf meinem Balkon setze. Wenn ich in den Himmel starre, bis er von gelb über orange hin zu rosa und lila in ein dunkles Blau taucht. Bis er irgendwann golden gepunktet ist.

Und genau wie die Wolken ziehen in solchen Momenten auch meine Gedanken vorbei. Sie kommen und gehen. Und alles woran ich denke, ist Freiheit.
Vielleicht ist Freiheit schon die Zeit, die ich alleine auf meinem Balkon verbringen darf. Dann bin ich dankbar dafür. Doch meistens ist Freiheit in mir etwas anderes.
Meistens sind es andere Gedanken. Vielleicht etwas aggressivere, manchmal verbitterte oder traurige, doch immer welche, die mich an mich selbst erinnern. Denn während die Sonne mich verlässt und der Mond aufgeht, träume ich mit offenen Augen. Von Freiheit. Von einem unabhängigen, selbstbestimmtem und neuen Leben. Von Menschen, die ich kennenlerne, Züge, die ich besteige, Länder, die ich sehe. Von einem älteren Ich mit neuen Möglichkeiten.

Manchmal denke an meine Eltern unten.
An meinen Vater, von dem ich froh bin, dass ich ihn heute nicht mehr sehen muss, weil er sich in seinem Zimmer eingeschlossen hat und heimlich trinkt und raucht, um sein gebrochenes Herz nicht zu spüren. Und an meine Mutter, die weinend im Zimmer nebenan sitzt und mit ihrer Lebensgefährtin redet, um sich nicht allein zu fühlen.

Aber was mich dann immer tröstet, ist der Gedanke, dass alles vergänglich ist. Dass es nicht immer so sein wird. Denn irgendwann werde ich gehen und das hier wird Vergangenheit sein.
Die Zukunft tröstet mich.
Die Illusion des Wortes „Freiheit” tröstet mich.

Ich fühle mich egoistisch, weil Freiheit für mich nicht etwas anderes ist, etwas Bedeutenderes, wie die Weltgeschichte und deren liberale Revolutionen, die Meinungsfreiheit oder die menschliche Gesellschaft, aus deren Zwängen und Normen man sich befreien will. Etwas Größeres, vielleicht poetisches, von dem wir alle sprechen, wenn wir unser Inneres Übergehen und stattdessen etwas sagen, von dem wir sicher wissen, dass es gut ankommt.

Aber würde ich davon schreiben, wäre ich nicht ehrlich mit mir selbst.
Für mich ist Freiheit eine Illusion, die mich am Leben hält.

Kommentare

  1. Von sophie am

    mega! ich finde es sehr gelungen!

Schreibe einen Kommentar