Vater, Mutter, Kind

[Monolog/ 2 Menschen / an einem Tisch/ mittig auf der Bühne/ schwache Beleuchtung auf den Personen]

Du siehst mich an mit diesem Blick, der Bände spricht, obwohl er ganz genau weiß, dass er gerade besser schweigen soll, weil es längst nichts mehr zu sagen gibt. Du siehst mich an mit diesem Mund, der sich zu einer neuen Silbe spitzt, obwohl er ganz genau weiß, dass er gerade besser stillstehen soll. Ich hebe die Hände, blitzschnell, um einzufordern, dass die Silbe auf dem Weg an mein Ohr heran auf der Stelle stehenbleibt. Diese Hände, wie Klauen. Wollen die kleine Silbe packen in der Luft, um sie zu schlingen, sie zu schnüren und zu schleudern zurück, meinem Gegenüber, dir da, zurück in die Fresse. Aus Angst und Feigheit, was-sonst, fällt die kleine Silbe mitten aus ihrer Flugbahn von Fresse zu Klaue und ohnmächtig auf die Tischplatte zwischen uns. Bleibt zuckend vor uns liegen. Du siehst mich an mit dieser Nase, die vor Lauter Lauter und Weichspüler und schwarzem Kaffee wahrscheinlich kein bisschen vom Hass im Raum mehr reichen kann. Dabei stinkt es danach, überall auf der Welt und besonders hier, bei dir und mir und Papa, der nicht da ist. Sogleich werden dir meine Klauen ins Haar wandern, das hochgebunden ist in ein holdes blondes Grabgesteck, wollen es zergreifen, zerren, reißen in seine allzu feinen Einzeldinge, das holde blonde Grabgesteck. Lange Krallen, die die Klauen zieren, hängen sich stattdessen auf dem Weg zu dir an der kleinen kleinen Blumenvase auf, die deine Mutter, meine Großmama, dir hinterlassen hat. Eine, die Frau genug war ihren eignen Mann zu stehen. Doch das hat sie dir nicht mitgegeben. Und so sitzen wir hier und in Klauen zerspringt Glas in Fetzten, das Blümchen zu der Blumenvase schwebt für ein Weilchen frei in der Luft und wird dabei ganz gelb im Gesicht. Es kommt neben der Silbe auf und hat auf dem Weg dorthin schon sein ganzes gelbes Gesicht verloren. Fetzten von Glas legen sich daneben ab und deine Fresse macht sperrangelweit auf. Meine Klauen tun es ihr gleich, denn meine schöne große Klappe habe ich an dir und Papa längst verloren. An deinem bleichen Hals würde sich etwas Rot ganz gut machen, finde ich und habe schon den albernen Tisch zwischen dir und mir umgelegt, mit Klauen und Füßen. Du riechst nach billigem Parfum und Mon Chéri, die von Papa kommen müssen, denn klaro macht das alles wieder gut. Als ich dir ganz nah bin, schreit dein Blick, er schreit Bände. Ich beuge mich zu dir hinunter und während dein Herz pocht pocht, aber dein Mund stillsteht, sehen wir uns an, dein armes Herz und mein armes Herz. Und ich lege meine Arme um deinen bleichen Hals. Ich trage heute einen roten Hoodie. Draußen steht Papa an der Tür und atmet seinen Ekel, gemischt mit Tränen einer anderen Frau gegen den Türspion. Es klingelt. Aber ich umarme dich.

Kommentare

  1. Von Kathrin am

    Der Text geht wirklich unter die Haut.
    Ein kleiner Ausschnitt aus dem alltäglichen Leben und doch so viel mehr. Ich mag die Metapher mit der Klaue und liebe das Ende. Ich würde auf jeden Fall gerne wissen wie es weitergeht.

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