Weiß

Ich sah sie weiße Scheibe die von Neonlichtern beleuchtet wurde vorsichtig an. Der Mond. In der Ecke daneben die Sonne. Gelb, mit einer Krone auf dem papiernen Haupt. Die vielen Zettelchen die an den Papiermodellen hingen. Ich lugte in das Fach in dem die Aufgaben lagen.
Noch ein Buch. Die genauen Aktiengewinne der letzten drei Monate. Ob diese roten gezackten Linien auch irgendwann einmal einen Traum gehabt haben? Leute verfluchten oder priesen sie, doch am Ende waren es nur Linien. Linien die einem das Leben retten, oder aber zur Hölle machen konnten. So bedeutungsvoll. Und doch… Dass ein wenig Druckertinte auf einem weißen Blatt Papier so viel ausrichten konnte…
Das nächste Buch. Mehr Informationen die in meinen Kopf flossen. Das nächste Geheft. Die nächsten schwarzen Flecken mit Bedeutung. Eine Klingel läutete. Essen. Ein weißer Brocken. Nach was es schmeckte? Schmeckte es überhaupt nach etwas? Ich wusste es nicht. Ich hatte Jahrelang nichts anderes zu mir genommen. Ich sah die kahlen weißen Wände an und fragte mich, was ich hier überhaupt machte. Um ehrlich zu sein, wusste ich es nicht. Es brachte nichts, sich über so etwas Gedanken zu machen. Der Nächste Zettel. Eine Beschwerde über das Schulsystem. Schule? Natürlich, Kinder gingen dorthin um zu sitzen, zuzuhören und zu schreiben. Jeder musste stillsitzen. Regeln. Aufgaben die gelöst werden mussten bevor die nächste dreiviertel Stunde des Zuhörens anbrach. Ich notierte mir die Informationen die wichtig waren. Digitalisierung… Meine Hand fror ein. Eine Fehlfunktion? Nein. Ich war ein Mensch. Mangel an Vitaminen? Nein. Das war in dem weißen Brocken enthalten. Ich stand auf, wohl wissend, dass es gegen die Regeln war. Gegen Regeln, die mir durch die Klappe geschoben wurden.
Plötzlich ertönte ein sehr lautes andauerndes Geräusch, dass mir zwar vage bekannt vorkam, ich jedoch nicht genau identifizieren konnte. Ich suchte nach passenden Informationen in meinem Kopf. Eine Sirene. Etwas war falsch. So auch der stickige Geruch der sich verbreitete. Das ging nicht! Es war gegen den geordneten Ablauf.
Etwas knackte und ich fühlte wie die Temperatur sich steigerte. Was würde passieren? Rechts neben mir splitterte etwas auseinander. Die fahl-weißen Wände, die mich all die Zeit umgeben hatten waren aus Glas. Mattiertem Glas. Die Scherben funkelten in den schönsten Farben als sie auf mich zuflogen. Ich fühlte wie sich die Splitter durch meine Haut bohrten. Welch eigenartiges Gefühl. Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah was hinter den Scherben hervorkam. Rot-orangene Zungen leckten an Ecken, Kanten und jeglichen Wiederständen die sie begegneten. Es bewegte sich. Ohne dass jemand es steuerte. Es lebte. Die Hitze, die es ausstrahlte verbrannte meine Haut. Ich lebte! Mein Körper veränderte sich ohne Kontrolle. Rote Blasen bildeten sich auf der schmerzenden Haut. Ein Schritt. Noch ein Schritt. Ich kontrollierte meinen Körper ganz allein. Keine Regeln. Ich beschleunigte. Ein weißer Stuhl. Ob die anderen Wände ebenfalls aus Glas bestanden? Ich hob den Stuhl an. Gegen die Regeln. Ich merkte wie eine neue Welle aus Scherben auf mich niederprasselte. Warme rote Flüssigkeit bahnte seinen Weg über meine Haut und Kleidung. Blut. Ich fühlte wie etwas in mir sich bewegte. Gegen die Regeln. Es hatte einen Rhythmus. Gegen die Regeln. Ein langer Gang erstreckte sich vor mir. Türen. Senkrecht gestreckte Bretter mor sogenannten Klinken. Dass ich so etwas einmal in echt sehen würde…
Ich öffnete die Tür am Ende des Gangs. Eine Treppe. Stufen. Wie stieg man Stufen herunter? Ich versuchte es. Der Boden schien sich unter mir in Luft aufzulösen. Ich fühlte wie mein Körper sich drehte und wendete als er wieder und wieder auf das kantig geformte Gestein auftraf. Es tat weh. Ich lebte. Noch mehr Stufen. Es dauerte eine Weile bis ich es schaffte. Schritt für Schritt. Dann nach einiger Zeit sah ich eine Tür. Groß und grau wie sie war, kam es mir vor als könnte ich sie nie öffnen, geschweige denn hindurchgehen. Ich versuchte es dennoch und drückte die Klinke herunter. Nichts passierte. Sie war abgeschlossen. Wie interessant. Ich erblickte ein Fenster. Getöntes Glas. Wie der Glaskasten indem ich bisher gelebt hatte. Ob ich es öffnen konnte? Ich sprang mit aller Kraft dagegen und fiel. Wieder bohrten sich die kleinen Splitter in meine Haut. Ein harter Untergrund. Eine menschliche Stimme. Ein Lebewesen. Etwas indem ein Herz schlug. Ein Schrei. Eine Äußerung des Entsetzens oder Aufregung. Dass es so ein schriller Ton war…
Ich schlug meine Augen auf. Grün. Rot. Und direkt über mir eine Art weißer Stern. Klein und grell. Die Sonne. So also sah sie in echt aus. Wolken. Wie Wattebausche sahen sie aus, als sie da so vor sich hin schwebten. Unter mir Beton und Gras. Und neben mir eine Gestalt wie in den Anatomiebüchern. Ein Mensch. Die Haut die sich über die Knochen legte, sah aus wie ein faltiger Stoff. Vermutlich älter als fünfzig Jahre. Graue Haare. Ob diese Person geschrien hatte? Ich glaubte nicht. Ein weiteres Gesicht erschien in meinem Blickfeld. Jünger. Nach meiner Beuerteilung ein Mädchen. Ob es den Mond gesehen hatte? Eine Weile musterte ich die beiden Gestalten mit halb geöffneten Augen. Keine Regeln. Keine Anweisungen. Nur der hektische Wirrwarr aus Stimmen um mich herum. Die Glassplitter die in meiner Haut steckten. Die Male die das Feuer in meine Haut gebissen hatte. Das ältere Gesicht beugte sich näher über mich. “Das Kind ist am Leben. Wir brauchen Hilfe! Dringend, es wird noch verbluten! Was immer es da drinnen gemacht hat, es scheint nicht normal zu sein. Wer hat es nur so angezogen? Ganz in weiß, wie schrecklich.” Ich merkte wie ich hochgehoben und weggetragen wurde. Interessant. Dass ich so etwas jemals erleben würde…

Kommentare

  1. Von Evi am

    Es ist ein sehr ausführlicher text, man versteht alles, ich persönlich finde ihn gut gelungen 🙂

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